Wolfgang Schmitt
Stiftung Jugend forscht e. V. | 1975
Erinnerungen aus seiner Zeit als Regionalwettbewerbsleiter Nordbaden
Meinen Einstand als Wettbewerbsleiter hatte ich 1975. Der Regionalwettbewerb Nordbaden war leitungsmäßig verwaist, und der damalige Landeswettbewerbsleiter Eberhard Hammelehle war zur Preisverleihung nach Mannheim angereist. Ich war damals Mitglied der Regionaljury. Im Verlauf des gemeinsamen Mittagessens fragte mich der Regionalpate, ob ich mir nicht eine Tätigkeit als Wettbewerbsleiter vorstellen könne. Ich hatte mich damals vor einer klaren Antwort gedrückt und gedachte mir mit "hm" und "vielleicht" die Entscheidung noch etwas offen zu halten. Für Eberhard war die Sache damit aber entschieden, und in der Feierstunde präsentierte er mich als neuen Wettbewerbsleiter für die Region Nordbaden.
Dank dieser Eigenmächtigkeit konnte ich dann zum 10. Bundeswettbewerb nach Hamburg, und kurz darauf zur Jugend forscht Jahrestagung fahren. Die hieß damals noch "Heidetagung" und fand nicht im Herbst, sondern im Juni statt. Die Anreise in Hamburg war freitags am späten Nachmittag. Alle Teilnehmer waren in einem Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofs untergebracht. Das war, im Gegensatz zu den heutigen Herbsttagungen, kein Problem. Baden-Württemberg z. B. zählte damals gerade mal drei Regionen gegenüber heute acht. Es war daher auch für einen Neueinsteiger wie mich nicht schwierig, schon am ersten Abend Kontakt zu den Teilnehmern auch aus den anderen Bundesländern zu bekommen. Im Verlauf des Abends dünnte sich die Gesellschaft dann immer mehr aus; die Hamburg-Fans gingen auf Entdeckungstour in die Stadt und auf die Reeperbahn. Eine Bar war wohl allgemein bekannt und beliebt, das "Salambo". Wann und in welcher Gruppierung auch immer die einzelnen Personen gegangen waren, zurückkamen - irgendwann im Verlauf der Nacht - alle gemeinsam, denn im Salambo hatten sie sich alle wiedergetroffen.
Am Samstagmorgen, pünktlich um 8 Uhr, holte ein Bus uns vor dem Hotel ab und brachte die ganze Gruppe in einer einstündigen Fahrt zum eigentlichen Tagungsort, einem Landgasthof mitten in der Heide. Wir brauchten keine Technik, keine Mikrofone oder Overheadprojektoren; in der kleinen Gruppe genügte die eigene Stimme vollkommen. Ich kann mich an zwei Tagungen erinnern, wo wir nachmittags sogar im Freien in einer großen Runde saßen (zugegeben, es waren zwei konzentrische Kreise) und trotz des schönen Wetters intensiv gearbeitet haben. Eine verregnete Heidetagung kommt in meiner Erinnerung tatsächlich nicht vor, sie wurde aber auch bald nach meinem Debüt als Wettbewerbsleiter von der Herbsttagung, wie wir sie heute kennen, abgelöst.
Das Ende der Arbeitstagungen und damit der Beginn des geselligen Teils wurde von Pferdefuhrwerken eingeläutet. Offene Planwagen, in der Mitte ein Tisch in Längsrichtung und zwei Bankreihen an den Außenseiten, holten uns ab. Die erfahrenen Heidetagler besetzten in Windeseile den ersten Wagen. Erst auf der Fahrt habe ich verstanden, warum, denn die Wagenkarawane holperte über trockene, ausgefahrene sandige Wege ihrem Ziel entgegen. In den Kurven und an ausgefahrenen Stellen neigten sich die Wagen abenteuerlich zur Seite, und eine Staubwolke wehte über das Land und die nachfolgenden Wagen. Gegen den Staub (oder Sand) hatten die Kutscher ein probates Mittel in der Wagenkiste: mehrere Flaschen Heideschnaps, um die ausgetrockneten Kehlen wieder zu befeuchten. Die Flaschen kreisten auch kräftig, und so wurde die Stimmung auf allen Wagen immer lustiger, je länger die Fahrt dauerte.
Unser Ziel war ein Schießstand, das Vereinsheim eines Schützenvereins. Das Preisschießen, das jetzt folgte, war den Routiniers bereits bestens bekannt. Die Preise waren auch respektabel: ein großer Schinken für den Schützenkönig, eine große Salami als zweiter Preis. Der dritte Preis ist mir nicht mehr in Erinnerung. Für die meisten unter uns war das Preisschießen einfach nur ein großer Spaß, der Preis also eher zweitrangig, was angesichts des teilweise beachtlichen Alkoholpegels auch weiter kein Wunder war. So standen wir Baden-Württemberger nebeneinander an benachbarten Schießständen, und jeder gab sechs Schuss aus einem Kleinkalibergewehr auf seine Scheibe ab. Dann wurde die Scheibe an einem Seilzug zum Schützen transportiert und die Aufsicht zählte die Ringe. Kurioserweise zeigte eine Scheibe sieben Einschusslöcher, darunter eine böse "Fahrkarte", während die Nachbarscheibe nur fünf Einschüsse aufwies. Damit waren beide Schützen aus dem Rennen. Wir haben noch Jahre später über diesen siebten Treffer auf der Scheibe von Prof. Bayh gelacht, zumal nie richtig geklärt werden konnte, ob die "Fahrkarte" auf der Scheibe das eigene Verschulden oder der einkassierte Fehlschuss des Nachbarschützen war.
Es gab auch die anderen. Sie hatten auf der Kutschfahrt jeglichem Alkohol entsagt, denn ihr Sinnen und Trachten war den zu erwartenden "fleischlichen" Genüssen zugewandt. Jetzt war ihr Auftritt gekommen, und sie kämpften angestrengt um die Siegesprämien. In diesem Jahr machte der Gewinner des 2. Preises, der Salami, ein deutlich unzufriedenes Gesicht, und es gab Stimmen, nur ganz leise natürlich, die sagten, dass er vermutlich den Schinken im privaten Budget schon fest eingeplant hatte. Jetzt war es also "nur" eine Salami, die zusammen mit ihm den Bus bestieg, der uns spät in der Nacht - so gegen 23.00 Uhr - wieder nach Hamburg bringen sollte. Diese Salami war aber ein empfindsames Wesen: Sie hatte die innerliche Ablehnung ihres Besitzers gespürt, fühlte sich daher unwohl und machte sich im Bus, zusammen mit einem großen Taschenmesser auf die Suche nach einem neuen Besitzer. Bei jedem kam sie vorbei, jeder nahm geschmacklich Kontakt mit ihr auf, und am Ende war sie weg, aufgegessen, noch bevor der unglückliche Besitzer etwas von seinem Verlust bemerkt hatte. Bleibt noch der Schinken: auch hier geistern Bilder durch meine Erinnerung, die einen Schinken in Begleitung mit einem Messer zeigen. Aber er muss diese Busfahrt zumindest teilweise überlebt haben, denn ich erinnere mich auch an einem älteren Herren, der vor dem Hotel mit einem (Rest?) Schinken im Arm aus dem Bus ausgestiegen ist.
Die Bewertung dieser Busfahrt war in den Folgejahren verständlicherweise etwas unterschiedlich. Der seiner Salami beraubte Wettbewerbsleiter, sein Herkunftsort sei hier verschwiegen, hat uns die Verluste nie verziehen. Im folgenden Jahr war der Schießstand dann geschlossen. Der Verein feierte ein Jubiläum, ein Jahrmarkt war aufgebaut, es gab eine Bühne und eine Kapelle spielte zum Tanz auf. Es war die einzige Tagung, auf der ich getanzt habe.
Dann waren die Heidetagungen bald zu Ende, der Platz in dem Gasthof reichte nicht mehr aus, und die Anfahrtswege sollten wohl auch etwas harmonisiert werden. Geblieben ist die Erinnerung an Aktionen, die so heute nicht mehr möglich wären, an Kollegen, die zu Freunden geworden sind und von denen viele heute schon nicht mehr leben, und ein bisschen Bedauern, dass es damals noch keine Digitalkameras gegeben hat, denn dann hätte ich diesen Bericht sicher mit vielen Bildern würzen können.
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