Von einem, der auszog, das Forschen zu lehren

Jugend forscht - Das Magazin | 2002/2003

Betreuungslehrer Siegfried Isele von den Gewerblichen Schulen in Waldshut

Siegfrid Isele (mitte) - stets ansprechbar für seine Schüler

Autsch, schon wieder ist das Messer abgerutscht und ein kleiner Schnitt ziert die Innenseite von Dagmars Daumen. Derartige Missgeschicke erlebt die 15-jährige Schülerin öfter, wenn in der elterlichen Bäckerei die Brezeln aufgeschnitten und geschmiert werden. Für die Mitarbeiter sind die Schnittverletzungen schmerzhaft, für den Familienbetrieb bedeuten sie mitunter den verletzungsbedingten Ausfall von Angestellten. Was also tun? Eine Brezelschneidemaschine muss her, beschließt Dagmar. Gedacht - getan. Wie und wo ihre Idee Gestalt annehmen soll, steht für die Schülerin schnell fest. Dagmar besucht das Technische Gymnasium der Gewerblichen Schulen in Waldshut. Dort gehört es in der Oberstufe zu ihren Pflichten, eine technische Projektarbeit zu erstellen. Gemeinsam mit Betreuungslehrer Siegfried Isele bespricht sie ihre Idee. Skizzen werden gemacht und wieder verworfen, verschiedene Materialien getestet und bearbeitet und allmählich nimmt die Erfindung Form an. Bevor sie jedoch zum ersten Mal zum Einsatz kommt, wird mit Hilfe des Lehrers noch ein Patent angemeldet. Zudem regt Isele an, die originelle Brezelschneidemaschine beim Wettbewerb Jugend forscht ins Rennen zu schicken.

Siegfried Isele (45) ist technischer Oberlehrer an den Gewerblichen Schulen Waldshut. Ursprünglich gelernter Ingenieur, wählte Isele Anfang der siebziger Jahre eine Lehramtstätigkeit am Gymnasium. Dass dabei die technische Praxis nicht zu kurz kommen muss, beweist der 45-Jährige in seinem schulischen Alltag. Seit 1995 ist er Ansprechpartner und Betreuungslehrer für den Wettbewerb Jugend forscht. Wie bundesweit mehr als fünftausend weitere Lehrerinnen und Lehrer, betreut Isele ehrenamtlich die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Nachwuchswettbewerbs in Naturwissenschaft und Technik.

So auch Dagmar mit ihrer Brezelschneidemaschine. Wie im Fall der jungen Schülerin ergeben sich die meisten der Jugend forscht-Projekte an der Waldshuter Schule aus ganz alltäglichen Situationen. Die Themen finden die Schülerinnen und Schüler oft in ihrem direkten Umfeld: Der 16-jährige Oliver zum Beispiel ärgerte sich mit seinen Teamkameraden nach dem Fußballtraining immer über das leidige Reinigen der Bälle. Also erblickte die Fußballwaschanlage das Licht der Welt und ist im Verein inzwischen ein unentbehrliches Hilfsmittel. Ein Mitschüler von Oliver suchte dagegen nach einer Lösung für die Entsorgung größerer Mengen Klärschlamms, die regelmäßig auf dem elterlichen Bauernhof anfallen. So entwickelte er eine Klärschlammaufbereitungsanlage, die heute erfolgreich auf verschiedenen Höfen im Dorf zum Einsatz kommt. Partyteller mit Glashalter, Mühle-Roboter, beleuchtete Geldbörsen oder Schlauchhalterungen für die Weinkelter sind nur einige der zahlreichen Erfindungen, die bereits an den Gewerblichen Schulen Waldshut entwickelt wurden. Einen Mangel an den frei wählbaren Projektthemen gibt es laut Betreuungslehrer Isele nicht. Die Schüler müssen sich im Alltag nur genau umschauen und anschließend ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Auf diese Weise entsteht für manch alltägliches Problem eine gar nicht so alltägliche Lösung. Probleme mit Motivation und Disziplin kennen die Schülerinnen und Schüler dabei nicht: Sie kommen freiwillig am Nachmittag, am Wochenende und sogar in den Ferien zur Schule, um an ihren Projekten zu zeichnen, modellieren, feilen, schrauben, fräsen oder zu programmieren.

Seit Bestehen des Technischen Gymnasiums in Waldshut ist die Projekt- oder Jahresarbeit in der 12. Jahrgangsstufe ein zentraler Bestandteil des schulischen Bildungskonzeptes. Betreuungslehrer Isele und Schulleiter Wolfgang Schott sehen darin einen wesentlichen Unterschied zu den allgemeinbildenden Gymnasien. "Wir arbeiten mit ganz praktischen Dingen aus dem Lebensbereich der Schüler. Die Projekte sind sehr anschaulich und anwendungsbezogen. Die Schüler sehen und erkennen direkt, warum sie etwas tun. Sie eignen sich im Rahmen der Projektarbeit Kenntnisse an, die weit über das naturwissenschaftlich-technische Grundwissen hinaus gehen. Die Jugendlichen müssen wirtschaftlich denken lernen und mit Zahlen und Kosten umgehen können. Dadurch erwerben sie - ganz nebenbei - Grundkenntnisse in der Betriebswirtschaftslehre," erläutert Siegfried Isele. Die mündliche und schriftliche Präsentation der Arbeiten schult darüber hinaus Ausdruck, Sprachtechnik und Darstellungsformen der Schülerinnen und Schüler. Die Notwendigkeit, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, fördert zudem Grundkompetenzen, die für das spätere Berufsleben von großer Bedeutung sind. Dieser integrale und fächerübergreifende Ansatz der Projektarbeiten wird in den verschiedenen Unterrichtsfächern aufgegriffen und ausgebaut. So feilt die Deutschlehrerin mit den Schülern an der schriftlichen Arbeit und übt mit ihnen verschiedene Präsentationstechniken. Die Elektro- und Informatiklehrer bieten fachliche Hilfe in den jeweiligen Werkstätten und ein Kollege wirbt in Veranstaltungen zur Lehrerfortbildung um "Nachahmer" und Mitstreiter.

Wo derart viel Arbeit und Einsatz geleistet wird, ist der Erfolg nicht weit. Die Präsentation der technischen Projektarbeiten in örtlichen Sparkassen- oder Bankfilialien, bei verschiedenen Veranstaltungen oder beim Wettbewerb Jugend forscht findet große Anerkennung. Obwohl die Projekte schon seit den siebziger Jahren öffentlich ausgestellt werden, "traute" man sich erst 1995, am Wettbewerb Jugend forscht teilzunehmen. Die Erfahrungen und der persönliche Motivationsschub für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren so positiv, dass die Gewerblichen Schulen mittlerweile jedes Jahr mindestens fünf Arbeiten bei Jugend forscht anmelden.

Viele der Waldshuter Erfindungen wurden mittlerweile schon patentiert oder zumindest zum Patent angemeldet. Für den "Partyteller mit Glashalterung" fand sich sogar ein regionaler Hersteller. Doch stellt die Vermarktung der Produkte eher ein Problem dar. Unterstützung für die jungen Nachwuchserfinder gibt es kaum. So passiert es schnell, dass gute Ideen von anderen aufgenommen und für eigene Zwecke genutzt werden. Kurze Zeit nach der Präsentation der Brezelschneidemaschine auf der Nürnberger Erfindermesse tauchten in Nürnberg ganz ähnliche Maschinen auf. Sind diese Raubkopien zwar nicht gerade die "feine englische Art", beweisen sie zumindest eines: Aus Waldshut kommen äußerst erfolgreiche und offensichtlich nachahmenswerte Erfindungen.

Die Gewerblichen Schulen Waldshut sind ein Schulzentrum mit Gewerblicher Schule, Technischem Gymnasium, Kolleg und Aufbauschulgängen, die berufsbegleitend zur mittleren Reife und zum Fachabitur führen. So werden Projekte auch in schulübergreifenden Teams angefertigt. Die Fachräume stehen dank des Engagements des technischen Oberlehrer Siegfried Isele freitags sogar den Schülerinnen und Schülern anderer Schulen offen. Diese Jugendlichen bilden den Arbeitskreis der Hochrhein-Tüftler, dessen Arbeiten ebenfalls bei Jugend forscht oder der Internationalen Erfindermesse IENA in Nürnberg präsentiert werden.


  •  2 Klicks für mehr Datenschutz: Erst wenn Sie den Schalter aktivieren, wird der Button aktiv und Sie können Ihre Empfehlung an ShareNetwork senden. Schon beim Aktivieren werden Daten an Dritte übertragen.
  •  
  •  
  •  
  • Zum Seitenanfang

Cookie-Einstellungen

Wir nutzen Cookies, um Ihnen die bestmögliche Nutzung unserer Webseite zu ermöglichen und unsere Kommunikation mit Ihnen zu verbessern. Wir berücksichtigen Ihre Auswahl und verwenden nur die Daten, für die Sie uns Ihr Einverständnis geben.

Diese Cookies helfen dabei, unsere Webseite nutzbar zu machen, indem sie Grundfunktionen wie Seitennavigation und Zugriffe auf sichere Bereiche ermöglichen. Unsere Webseite kann ohne diese Cookies nicht richtig funktionieren.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen, wie Besucher mit unserer Webseite interagieren, indem Informationen anonym gesammelt werden. Mit diesen Informationen können wir unser Angebot laufend verbessern.