Junge Forscher auf Entdeckungsreise

stern | 29. August 1971

Nach dem Weltraumbahnhof Cape Kennedy und der Weltausstellung Osaka war diesmal die Metropole der Sowjetunion das Reiseziel der Bundessieger im STERN-Wettbewerb „Jugend forscht“

Moskau 1971

Mit einem Lufthansa-Jet flogen die erfolgreichen Jungforscher nach Moskau. Dann ging es weiter bis in die Wissenschaftlerstadt Akademgorodok und zum Staudamm von Bratsk in Sibirien.

Voller Spannung stiegen sie in Frankfurt in den Charter-Jet der Deutschen Lufthansa, der sie in knapp drei Stunden über Bayern, die Tschechoslowakei und den Südzipfel Polens nach Moskau bringen sollte. Von ihren Vorgängern, den Bundessiegern "Jugend forscht" der letzten Jahre, hatten sie sich über deren große Reisen alles genau erzählen lassen - über den Besuch der Autostadt Detroit etwa (1968) oder die Besichtigung des Weltraumbahnhofs Cape Kennedy (1969) oder den Luftsprung der Siegergruppe des Jahres 1970 nach Tokio und zur Weltausstellung in Osaka.

Jetzt begann für sie die große Tour, und sie waren sich durchaus nicht einig, ob nun die Vorjahressieger zu beneiden seien oder ob etwa das Abenteuer, das eine Tour durch die Sowjetunion noch immer darstellt, höher zu bewerten sei als eine vorprogrammierte Amerikareise. 18.000 Kilometer durch die Sowjetunion standen auf ihrem Plan: Von Moskau über die Erdölstadt Baku nach Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan, und weiter nach Nowosibirsk und Akademgorodok, der Wissenschaftlerstadt in Sibirien.
Das Ticket war ihnen wahrlich nicht in den Schoß gefallen. Denn ehe ein Jungforscher Bundessieger wird, muß er die ganze Ochsentour vom lokalen Wettbewerb über Regional- und Landesauscheidung bis zum Bundeswettbewerb durchstehen, muß sich von Professoren und Wissenschaftlern ausquetschen lassen, muß beweisen, daß er in seinem Fachgebiet die reifste Leistung vorgezeigt hat und obendrein sein Spezialgebiet auch theoretisch vollendet beherrscht. Acht Namen umfaßte im April bei der Patenfirma BASF in Ludwigshafen die Bundessiegerliste: Alexander Strobel (Fachrichtung: Mathematik/Informatik) aus Mannheim, Dieter Flockerzi (Chemie) aus Ruit, Hans-Peter Klemann und Gerhard Lehrmann (Physik) aus Saarbrücken, Thomas Kahl (Technologie/Elektronik) aus Hamburg, Udo Krupka und Gerhard Bleichert (Biologie) aus Wächtersbach und Joachim Becker (Geo- und Raumwissenschaften) aus Frankenthal. Und zum Bundessieg bekamen sie nicht nur einen Geldpreis in Höhe von 3000 Mark, sondern auch das Rußlandticket. Mit von der Partie waren außerdem vier Lehrer, die - ausgelost aus der großen Menge der freiwilligen Wettbewerbshelfer und -organisatoren - die Flugkarte sozusagen als großes Los gewonnen hatten.

Die erste Überraschung, und eine nicht sehr freudige dazu, erlebte die STERN-Gruppe beim Eintreffen in Moskau, als die ihr zugedachte Reiseleiterin und Dolmetscherin Valentina ganz überrascht bemerkte: "Ach je - Sie sind gar keine Kinder mehr." Auf dem langen Weg der Instanzen zwischen Hamburg, Bonn und Moskau, wo das Jugendreisebüro mit dem himmelwärts strebenden Namen "Sputnik" die Vorbereitungen übernommen hatte, war wohl etwas schiefgelaufen. Und - weiß der Genosse Teufel, wie es kam - unter "jungen Forschern" hatten sich die mit der Sache befaßten Sowjetmenschen ganz offensichtlich keine stämmigen Twens, sondern Früh-Teenager so um die zehn und zwölf Jahre vorgestellt. So passierte es, daß auf dem Programm ein Pionier-Spielplatz nach dem anderen auftauschte und beispielsweise in Akademgorodok an Stelle von Koryphäen der Wissenschaft, mit denen die Deutschen sich gern unterhalten hätten, Kinder in Uniform das Empfangskomitee bildeten.

Trotzdem gab es genug Interessantes zwischen Moskau und Irkutsk zu sehen, wenn auch immer wieder die große Kluft zwischen leninistischer Theorie und alltäglicher Praxis, zwischen Reden und Wirklichkeit, zwischen Wollen und Können allzu deutlich erkennbar war.

Naturgemäß erkundigten sich die jungen Leute aus Deutschland, wo immer sich die Möglichkeit bot, nach den auch bei uns so hoch gelobten Ausbildungschancen in der Sowjetunion. Valentina übersetzte die Auskünfte über die gigantische Bildungsexplosion der letzten Jahrzehnte: Vor vierzig Jahren lebten von sechs Sowjetbürgern fünf auf dem Lande, nur jeder dritte beherrschte die Kunst des Lesens und Schreibens. Heute gibt's praktisch keinen Analphabeten mehr. 28 Millionen Jugendliche besuchen zur Zeit die Schule, zehn Klassen sind Pflicht für jeden. Es gibt Schulneubauten, wie etwa in Irkutsk, in denen nicht weniger als 20.000 Schüler unterrichtet werden. Reisebegleiter Oberstudienrat Henk, Hamburg: "Wir staunten nicht schlecht, als man uns in dieser Schule gleich drei Computer vorführte."

In Moskau allerdings hörten die deutschen Jungforscher auch etwas, das sie an den leidigen Numerus clausus bundesdeutscher Universitäten erinnerte: Von 20.355 Studienbewerbern an der berühmten Lomonossow-Universität (an der übrigens auch fünf Studenten aus der Bundesrepublik eingeschrieben sind) bestanden ganze 6782 die Aufnahmeprüfung, und zugelassen wurden schließlich 3400.
Die Flugzeuge, mit denen sie durch Rußlands Himmel schaukelten, fanden die jungen Deutschen "sehr rustikal - bis hin zur Stewardess". Mit der "Sputnik"-Verpflegung konnten sie sich nicht recht anfreunden: "Es gab entweder Kohl mit Frikadellen oder Frikadellen mit Kohl." Und Unterkünfte, wie sie sie erhofft hatten, fanden die STERN-Reisenden eigentlich nur in Bratsk vor, jener neuen 100.000-Menschen-Stadt im fernen Sibirien, die erst in den letzten zehn Jahren in der Nähe eines gigantischen Staudammes entstanden war.

Ein Bad in Nowosibirsk, eine rasante Rundfahrt im Tragflächenboot über das kalte Wasser des Baikalsees (vier Grad) und ein fulminantes Abschiedsessen mit Kaviar und Krimsekt auf dem Moskauer Fernsehturm versöhnte die Reisegesellschaft schließlich mit beinah allem. "Insgesamt gesehen eine tolle Sache", so lautete das Urteil der Jungforscher, als sie nach erlebnisreichen 14 Tagen wieder in Frankfurt landeten.
Nur über eine Niederlage, die sie unterwegs erlitten, schweigen sich die jungen Forscher am liebsten aus. Beim Besuch eines Jung-Pionier-Lagers verloren die Deutschen, deren Stärke offensichtlich eher auf dem Feld der Naturwissenschaften liegt, beim Fußball 2:0 gegen die Lagerauswahl.


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