Jugend forscht

stern | 30. April 1967

Der stern-Wettbewerb offenbarte: Trotz der Schulmisere wachsen in unserem Land dynamische Forscher nach

Teilnehmer des Bundeswettbewerbs 1967

Sie sind im Beat-Alter. Keiner ist über zwanzig, die Jüngsten gerade sechzehn. Zwei Mädchen sind darunter. Und ein Kanonier in Bundeswehr-Uniform. Gemeinsames Erkennungszeichen ist eine kleine silberne Plakette, die sie als Landessieger im stern-Wettbewerb "Jugend forscht" ausweist.

Die 53 jungen Forscher sind nach Frankfurt gekommen, um sich zum Abschluß des diesjährigen Wissenschaftswettbewerbs einer ebenso kritischen wie fachmännischen Jury zu stellen. Professoren und Doktoren der Physik, Chemie, Biologie und Mathematik wollen unter den besten Arbeiten aus den elf Bundesländern die allerbesten auswählen. 35.000 Mark an Studienbeihilfen winken den Siegern neben zahlreichen anderen Preisen und - nicht zuletzt - vier Flugkarten nach San Francisco zur Teilnahme an der "Jugend forscht"-Weltmeisterschaft.

Die jungen Naturwissenschaftler sind nicht von gestern. Sie lieben Protest-Songs, finden Miniröcke chic und betrachten Provo-Frisuren nicht als unnormal. Die Beatles sind für sie "schon lange tot", der Schwarm der Woche heißt Mireille Mathieu. Sie spielen - wie einst die Väter - Schach, Billard und Cello. Doch sie lesen nicht "Bild", sondern "Bild der Wissenschaft" oder fremdsprachliche Expertenblätter wie "Scientific American".

Wenn man sie nach ihren Hobbys fragt, tauchen neben altväterlichen Freizeitbeschäftigungen wie "Schreinern", "Rudern", "Reparieren antiker Uhren" auch Begriffe auf, die kaum älter sind als die jungen Leute selbst: "Kybernetik", "Tonbandeln", "Amateurfunken". Zwei von ihnen sind Mitglied der "Hermann-Oberth-Gesellschaft zur Erforschung und Erschließung des Weltraums". Einer ist Fußballer, einer hat den Segelflieger-C-Schein, und ein anderer verblüffte die Internationale der Vogelkundler dadurch, daß er, der Autor einer beachteten wissenschaftlichen Veröffentlichung, sich auf dem Ornithologen-Kongreß in Oxford als 17jähriger Grünschnabel entpuppte. Sie sind, so stern-Verleger Dr. Bucerius beim Frankfurter Festival der Jungen Forscher, "ganz einfach Klasse".

Von ihrer Zukunft haben sie genau umrissene Vorstellungen. Natürlich werden sie - einige haben inzwischen schon begonnen - naturwissenschaftliche Fächer studieren, wozu sie auch die Medizin rechnen. Erstaunliche Übereinstimmung ergibt sich, wenn man herauszufinden sucht, wie und wann sie ihre Liebe zu Naturwissenschaften entdeckten. Die Weichen wurden meist im Alter von 13 bis 15 Jahren gestellt. Nicht selten gab bei den Jungen die elektrische Spielzeugeisenbahn den Ausschlag, noch häufiger waren es spielzeughafte Lehrmittel wie etwa die der "Kosmos"-Serie. Nur an die Schule als Interessen-Auslöser erinnert sich kein einziger. Deutschlands Pädagogen wissen, wie das kommt: Seit einem Beschluß der Länder-Kultusminister aus dem Jahre 1960, der sogenannten Saarbrücker Rahmenvereinbarung, werden Fächer wie Physik, Chemie und Biologie an westdeutschen Schulen nicht mehr ernst genommen, obschon "wer nichts von diesen Wissenschaften versteht, nicht in der Lage ist, eine Zeitung von heute mit Verstand zu lesen" (so Professor Pommer während der Frankfurter Veranstaltung).

Mehr als 500 Schüler, Lehrlinge und Praktikanten haben insgesamt am zweiten stern-Wettbewerb "Jugend forscht" teilgenommen. Ohne Kurzschuljahr und drängende Abiturtermine wären es noch erheblich mehr gewesen. Über Regional- und Landeswettbewerbe, veranstaltet von bedeutenden Industriefirmen, führte der Weg der Besten in die Jahrhunderthalle der Farbwerke Hoechst zum großen Festival der Jungen Forscher. Jedes Bundesland durfte nur je einen Sieger aus jeder Disziplin ("Mathematik + Computer", "Physik", "Chemie" und "Biologie") sowie sein bestes Forscher-Team entsenden.

Niveau und Vielfalt der Arbeiten, aber auch die Unbefangenheit, mit der die jungen Leute ihre Entdeckungen oder Konstruktionen im Gespräch erklärten, versetzten fachkundige Ausstellungsbesucher, darunter den Bundeswissenschaftsminister Dr. Gerhard Stoltenberg, die Kultusminister Professor Dr. Schütte (Hessen) und Werner Scherer (Saar) in immer neues Erstaunen. "Wenn man bedenkt, was wir in diesem Alter konnten ...", meinte Professor Dr. Karl Winnacker, Chef der Farbwerke Hoechst und Hausherr der Jahrhunderthalle.

Tatsächlich brillierten die Jungen Forscher diesmal mit enormem Einfallsreichtum und Fleiß. Hier einige Beispiele:

● Roman Kuhn, 20, Praktikant beim Sender Europa I in Saarbrücken, entwickelte einen Pausenzeichengeber ohne Tonband oder Schallplatte (3. Preis Physik).

● Ulrich Hauner, 17, begann vor vier Jahren auf einer Autobahnbaustelle Versteinerungen zu sammeln. Heute besitzt er eine der umfangreichsten Sammlungen ihrer Art, an der er wissenschaftliche Untersuchungen anstellt (Auszeichnung Sonder-Gebiete).

● Lothar Bornmann und Rainer George, ein Chemie-Team aus Wuppertal, versuchten mit Erfolg die seit 1904 bekannte Synthese des Hormons Adrenalin zu verbessern (2. Teampreis).

● Bernd Sturm, 17, aus Eppelborn im Saarland, untersuchte, fotografierte und filmte die Entwicklung des Hühnerembryos und entdeckte, daß das Herz im Hühnerei schon eher schlägt als bisher angenommen (Sonderpreis: Kameraausrüstung im Wert von 1000 Mark).

● Cornelius Hoenselaers, 18, legte ein Denkstück über "Die allgemeine Relativitätstheorie" vor (2. Preis Physik). Jury-Meinung: "Der Junge beherrscht seine Sache besser als manch zehn Jahre älterer Student im Staatsexamen."

Transport und Ausstellung der Forschungsobjekte verliefen nicht ganz ohne Pannen. Der Berliner Bernd-Ulrich Meyburg, der "die Biologie des Schwarzen Milans" studierte, reiste mit einem von ihm großgezogenen, lebenden Greifvogel von mehr als einem Meter Spannweite an und mußte sich mehr als einmal um die Abfuhr außerplanmäßigen Milan-Mülls kümmern. Wenig Mühe hatte dagegen der 18jährige Bernd Walz aus Wetzlar (Arbeitsthema: "Studien an den in Wetzlar und Umgebung vorkommenden Moostardigraden") mit seinen lebendigen Ausstellungsstücken: Tardigraden sind winzige Lebewesen von etwa 0,2 Millimetern Länge, die man nur unter dem Mikroskop beobachten kann. Sie sind zudem höchst unempfindlich gegen Widrigkeiten aller Art und vermögen beispielsweise sogar dann weiterzuleben, wenn man sie monatelang auf minus 180 Grad unterkühlt.

Erheblich schwieriger gestaltete sich das Transportproblem des Lübeckers Cornelis Langescheid, der Verhaltensforschung an seinen Aquariumsfischen getrieben hat und nun mit drei Glasbecken lebender Fische nach Frankfurt fahren wollte. Sein Pech: Einige der Fische fraßen, von der Unruhe des Transports aufgescheucht, die eigene Brut, andere verendeten infolge einer technischen Panne im Heizsystem der Aquarien. In Frankfurt machte sich der junge Verhaltensforscher sofort auf die Suche nach Ersatz, fand jedoch keine Aquarienhandlung, die ihm die gesuchten Spezies hätte verkaufen können. Hilfe kam schließlich von Professor Grzimek: Frankfurts Zoo stellte für die Dauer der "Jugend forscht"-Ausstellung zwei bunte Maulbrüter aus seinem Aquarium leihweise zu Verfügung.

Angesichts der Fülle der mit großer Sorgfalt dargestellten Arbeiten hatten es die Juroren nicht leicht, über Sieg und Platz zu entscheiden. Hinzu kam, daß die 16 Experten von Rang teilweise Arbeiten aus unterschiedlichen Fachgebieten gegeneinander abzuwägen hatten, was - so Professor Hecht (Kiel) - "manchmal so schwierig ist wie ein Vergleich zwischen einer guten Zigarre und einer Beethoven-Symphonie". Schließlich gelangen selbst solche Vergleiche, und bis zum Beginn der Festveranstaltung in der mit 3000 Besuchern dichtbesetzten Jahrhunderthalle stand die Liste der Sieger und Preisträger fest.
Nach einem schlagkräftigen Plädoyer für die Naturwissenschaften des Münchner Physikers Professor Lüscher ("Politik beruht auf Macht, Macht beruht auf Technik, und Technik beruht auf Naturwissenschaften") und der Vorführung phantastischer Farbfilmaufnahmen vom Raumflugunternehmen Gemini 12 konnte die mit Hochspannung erwartete Siegerehrung beginnen. Gold-, Silber- und Bronze-Medaillen, verbunden mit stattlichen Studienbeihilfen, vergab STERN-Chef Henri Nannen. Danach folgten die zahlreichen Sonderpreise und Belobigungen, etwa von Ministerpräsident Georg-August Zinn, von Bundespost, Industrieverbänden und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, überreicht durch DGB-Chef Ludwig Rosenberg. Sonderlob und Beifall schließlich für den Mann in Uniform: Wehrbereichskommandeur Brigadegeneral Annus überreichte dem Kanonier Rüdiger von Einem, der eine Relaisrechenmaschine gebaut hat, den Sonderpreis der Bundeswehr. Von Einem will Raketenoffizier werden.

Am Ende waren mehr Preise und mehr Geld vergeben als ursprünglich vorgesehen. Denn:
● Die Jury war sich nicht sofort über die Reihenfolge der Physik-Preise einig geworden. Die Jury-Mitglieder Professor Werner Holste (DEMAG Duisburg) und Professor Walter Niens (AEG Berlin) stifteten spontan den Betrag, der nötig war, um den 2. Preis zweimal zu vergeben.

● Auch Professor Winnacker, Chef der Farbwerke Hoechst, griff noch einmal in die Kasse. Als Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie stockte er in einem Spontan-Entschluß die Preise der Chemiesieger um insgesamt 10.000 Mark auf.

● Ein besonderer Glückstreffer fiel schließlich auf zwei Bremer Schulen. Nach den Regeln von "Jugend forscht" geht auch die Schule nicht leer aus, die einen Bundessieger stellt. Sie erhält vielmehr tausend Mark "zur Ergänzung ihrer naturwissenschaftlichen Lehrmittel". stern-Chef Nannen indes verlas sich bei der Preisverteilung und sprach, als er den Bremer Siegern der Sparte "Gruppenarbeiten", Reinhard Becker und Nicolai Zeidler, die Goldmedaillen überreichte, von einem Schulpreis von dreitausend Mark. Aufgeregt versuchten "Jugend forscht"-Organisatoren vom Parkett aus die Sache richtigzustellen. Doch Henri Nannen blieb dabei: "Was ich einmal gesagt habe, gilt!" Und so bekamen zwei Bremer Schulen nun je 1.500 statt nur je 500 Mark. Was das für eine Schule bedeuten kann, läßt am ehesten ein Beispiel erkennen: Ein Bremer Gymnasium mit 950 Schülern verfügt für das ganze Jahr 1967 über einen Physik-Etat von nicht mehr als 650 Mark.

Ulrich Blumenschein


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