Henri Nannen

stern | 10.05.1990

Warum ich „Jugend forscht“ erfand

Nein, so ist es nun ganz und gar nicht gewesen, daß mich Zeit meines Lebens die Naturwissenschaften derart fasziniert hätten, daß ich im Dezember 1965 einen Jugendwettbewerb in Mathematik, Physik, Biologie und Chemie hätte erfinden müssen, der damals mit 244 Mädchen und Jungen begann.
Nun, im Jubiläumsjahr 1990 werden es 3223 Teilnehmer sein, und ohne großsprecherische Übertreibung reden wir von einem "bundesweiten Förderungswerk des STERN, der Deutschen Industrie, der Schulen und der Bundesregierung für den naturwissenschaftlichen Nachwuchs".

Und schon messen sich die deutschen "Jufos" mit den jungen Forschern der zwölf EG-Staaten, wo eine internationale Jury hochqualifizierter Wissenschaftler unter dem Vorsitz des britischen Mathematikers Sir Peter Swinnerton-Dyer von der Universität Cambridge so unterschiedliche Arbeiten wie "Messungen von Raketengeschwindigkeiten" über das "Orientierungsvermögen von Heuschreckenschwärmen" bis zur "Computergesteuerten Hilfe für Sprechbehinderte" zu bewerten hatte.

Nun wird es wohl Zeit, zu bekennen, warum es mir ein wenig unheimlich bei dem Gedanken ist, daß ausgerechnet ich, ein naturwissenschaftlicher Versager, der Vater von "Jugend forscht" wurde. In Mathematik hatte ich eine verdiente 5, damit konnte man auf einem humanistischen Gymnasium leben. In der Biologie reichte es gerade zur Aufzucht von weißen Mäusen und für die Pflege des Schulgartens, Raumwissenschaften und Informatik gab es zu meiner Schulzeit noch nicht, nur in der Chemie, da hielt ich es mit meinem Lehrer Dr. Wiesenthal, den wir aus unerfindlichen Gründen "Nabot" nannten und der mir zugestand, meine Beziehung zur Chemie komme nur daher, "daß es da gelegentlich stinkt und knallt" - was dem übrigen Schulunterricht nicht gerade förderlich ist.

Dafür kann ich heute noch größere Stücke der "Odyssee" auf griechisch und das Vaterunser auf mittelhochdeutsch rezitieren. Griechisch und Latein - und bei uns Gott sei Dank auch Deutsch - standen in der Hierarchie der Wissenschaften an der Spitze. Das wirkte sich sogar auf die Hierarchie des Lehrkörpers aus: Der Oberstudiendirektor unterrichtete Griechisch und Latein, der Professor für Deutsch und Literatur galt in Emden als hochangesehener Mann, die Sprachlehrer rangierten danach in der Reihenfolge Hebräisch (für angehenden Theologen), Französisch und Englisch, in Physik und Chemie galt "Nabot" als eine Art Zauberkünstler, in Biologie tat's ein "Oberschullehrer".

Nein, Naturwissenschaften fuhren zu meiner Schulzeit eher auf dem Abstellgleis. Und das blieb lange so. Hätte in einem Kreis von "Gebildeten" jemand gesagt, er habe soeben die "Blechtrommel" von Heinrich Böll gelesen, er wäre der allgemeinen Verachtung anheimgefallen. Man hatte zu wissen, das Günter Grass der Erfinder von Oskar Matzerath war - aber mußte man verstehen, wie ein Halbleiter funktioniert oder was in einem Fernsehgerät steckt - vom Computer ganz zu schweigen? Man mußte es nicht. Und manch einer genierte sich nicht, dröhnend zu verkünden, davon verstehe er nichts, ha, ha, ha. Das, meine verehrten Leser, ist es: Ich wollte es wissen. Präzise und genau, nicht in wolkigen Illusionen, sondern in der unmanipulierten Sprache der Naturwissenschaften, wo keine Behauptung gilt, die nicht bewiesen werden kann, wo Theorien solange Theorien bleiben, wie sie sich nicht im Experiment wiederholen lassen. Längst bestimmte die Technik unser Leben, und da sollte einer so borniert sein und sich nicht seiner Unkenntnis schämen? Ich war neugierig. Das kommt einem Journalisten zu. Und so gründete ich "Jugend forscht".
Als Nachholbedarf in eigener Sache sozusagen. Aus schlechtem Gewissen.

Übrigens: Ich hatte noch in einem anderen Fach eine 5. In "Turnen und Sport". Und da habe ich dann eben auch noch "Jugend trainiert für Olympia" erfunden.


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