Dichtung & Wahrheit

Jugend forscht Alumni-Festschrift | Juni 2006

Was ist dran am Jufo-Klischee?

Ulla Lohmann

"Sie haben Pickel, tragen kleine runde Brillen, sind unsportlich, schüchtern, wenn nicht verängstigt. Sie gehen selten an die frische Luft, raufen nicht mit Klassenkameraden und haben wenig Sinn für Humor. Ja, so stellt man sie sich vor, die neunmalklugen kleinen Naseweise, die so selbstbewusst bei 'Jugend forscht' mitmischen, als sei der Wettbewerb sowieso nur das Sprungbrett zum Nobelpreis." Selbst die angesehene FAZ ist sich nicht zu schade, 1996 einen Artikel über die Bundessiegerin Ulla Lohmann mit dem altbekannten Jugend forscht Klischee zu beginnen. Doch "Pustekuchen" fährt der Autor fort und schnell wird klar, dass es sich bei der Beschreibung nur um ein rhetorisches Mittel handelt. Denn die Biografie der Nachwuchswissenschaftlerin aus Alsenborn bei Kaiserslautern beweist, wie wenig das Klischee mit der Realität übereinstimmt.

Ulla Lohmann forscht nicht nur. Sie geht klettern und snowboarden, arbeitet als Animateurin, gibt Jonglierkurse an der Volkshochschule und bereist die Welt. Zugegeben, nicht jeder ist so eine schillernde Persönlichkeit wie die attraktive Nachwuchs-Paläontologin, aber erfolgreiche Jufos zeichnet insbesondere eines aus: Ihre Interessen sind breit gefächert und sie begeistern sich beileibe nicht nur für Naturwissenschaften, Mathematik und Technik. Man nehme etwa Thomas Erfurth: Während der Schulzeit interessiert sich der 2,08 Meter große Bundessieger in Geo- und Raumwissenschaften von 2003 vor allem für Basketball. Nach einem zwölfmonatigen Schüleraustausch in North Carolina steht er sogar vor dem Sprung in die dortige College-Mannschaft, bevor er seinen Traum von der Karriere als Profi-Sportler aus gesundheitlichen Gründen aufgeben muss.

Doch nicht nur Sport, auch Musik ist die Leidenschaft vieler Jungforscher, auch wenn es nur wenige zu einer solchen Meisterschaft bringen wie Peter Ruzicka. Als er 1968 den Sieg in Physik erringt, hat er eine instrumentale und theoretische Ausbildung in Klavier, Oboe und Kompositionstheorie am Hamburger Konservatorium bereits erfolgreich abgeschlossen. Im folgenden Jahr wagt der spätere Intendant der Hamburgischen Staatsoper dann den Brückenschlag: In seinem "Jugend forscht Concerto '69'" bringt er die Idee des Wettbewerbs auf Notenpapier. Das neunminütige Werk für Big Band und Orchester wird beim Bundesfinale 1969 uraufgeführt.

Andere Jufos spielen Theater – und widerlegen das Vorurteil von der einseitigen Begabung. Der vermutlich Prominenteste ist Paul Erich Frielinghaus. Beim Bundesfinale 1978 belegt der Anwalt aus der Fernsehserie "Ein Fall für zwei" den 5. Platz in Arbeitswelt. Neben Technik und Tüftelei steht er als Mitglied der Schauspielgruppe seines Gymnasiums mit viel Leidenschaft auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Die Fuldaer Zeitung lobt schon damals sein "erstaunliches Repertoire an mimischen und gestischen Ausdrucksmöglichkeiten". 

Keine Frage also, Jugend forscht Teilnehmer sind besonders engagiert und haben vielfältige Interessen, aber sie unterscheiden sich ansonsten kaum von ihren Altersgenossen. Auch sie ringen mit den Dingen, die das Erwachsenwerden oft so schwierig machen. Schüchternheit in der Pubertät, Sprechen mit Zahnspangen – bei der Jurybefragung äußerst lästig –, oder aber Hautunreinheiten, die beim TV-Auftritt nach der Feierstunde nicht eben für Coolness sorgen.

Jugend forscht – das sind nicht nur Formeln und Experimente, sondern auch Lifestyle, Modetrends und jugendliches Selbstverständnis. Die Jufos sind letztlich ein getreues Abbild ihrer Generation: Ende der 60er-Jahre geht es politischer zu. So lässt etwa Mathematik-Bundessieger Rudolf Netzsch 1969 in einem Flugblatt, das er auf dem Bundeswettbewerb verteilt, die "internationale Kulturevolution" hochleben. Auch die Projekttitel transportieren Zeitgeist: In den 70ern präsentiert ein junger Wissenschaftler die Arbeit "Rauschmittel – ein Problem unserer Zeit". Gerade die Art, wie Jufos sich kleiden und wie sie sich geben, sagt viel aus über vier Jahrzehnte bundesdeutsche Jugendkultur: Schlaghosen und Häkelkleid in den 70ern, bauchfrei beim Kanzlerempfang in den 90ern. Beim Jubiläumswettbewerb 2005 schließlich erklimmt Chemie-Sieger Stephen Schulz mit Pferdeschwanz und Kinnbart das Podium und macht – wenn auch verspätet – den Grunge-Look bei Jugend forscht salonfähig.

Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass in Wahrheit nicht viel übrig bleibt vom Jufo-Klischee. Es würde auch überraschen, gäbe es eine Formel, mit der sich die mittlerweile 140.000 Teilnehmer des Wettbewerbs treffend charakterisieren ließen. Wer Jugend forscht und die vielfältigen Lebensläufe der Jugendlichen kennt, weiß, dass sich das bekannte Stereotyp allenfalls als zweifelhafter Einstieg eines Presseberichtes eignet – um dann umgehend widerlegt zu werden. 


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