Aus der „stern“-Aktion wurde eine Staatsaktion

Stiftung Jugend forscht e. V. | 1986

„stern“-Chefredakteur Rolf Winter über 20 Jahre „Jugend forscht“

Ausstellung "20 Jahre Jugend forscht"

"Ein Land, in dem die Naturwissenschaft nachhinkt, wird im Jahre 2000 ein Entwicklungsland sein", schrieb 1965 der "Jugend forscht"-Gründer Henri Nannen, der - wie er so gern erzählte - ein humanistisches Gymnasium besuchte und zum Beispiel nicht wußte, wie ein Fernseher funktioniert.
Nun können wir heute nach zwanzig Jahren feststellen, daß der naturwissenschaftliche Wettbewerb - der heute von den Schulen, von der Industrie (genauer: von 65 Patenfirmen), von der Bundesregierung und immer noch vom "stern" finanziert und durchgeführt wird - sein Klassenziel erreicht hat. Nach einer Untersuchung der Studienstiftung des deutschen Volkes über den Schul-, Ausbildungs-, Studien-, Berufs- und Lebensweg der Landes- und Bundessieger im Wettbewerb "Jugend forscht" der Jahre 1966 bis 1984 haben 94 Prozent der ehemaligen Sieger ein naturwissenschaftliches Studium aufgenommen.
Einer weiß es aus eigener Erfahrung, mein Kollege Dr. Rainer Köthe aus dem "stern"-Wissenschafts-Ressort. Vor zwanzig Jahren gelang es ihm, erstmals pfundschwere Kristalle zu züchten. Davor hatten sich lediglich Winzlinge von ein paar Gramm Gewicht herstellen lassen. Damit wurde er Hamburger Landessieger.

Nun ja, inzwischen werden an Bord der Raumfähre "Challenger" Kristalle in der Schwerelosigkeit gezüchtet - ein Experiment, das Michael Pascherat von der Technischen Hochschule in München entwickelt hatte. Auch er war einst "Jugend forscht"-Teilnehmer und hatte sich damals mit der Materie beschäftigt.

Der Wettbewerb "Jugend forscht" wurde Mitte der sechziger Jahre aus einer Not geboren. Die Universitäten, staatlichen Forschungsinstitute und die Industrie schlugen plötzlich Alarm, es fehle an naturwissenschaftlichem Nachwuchs. Zu wenige junge Leute wollten Chemie, Physik oder Biologie studieren, denn die Deutschen hingen immer noch dem Bildungsideal des 19. Jahrhunderts nach: Danach muß ein gebildeter Mensch über die Lyrik Goethes Bescheid wissen, nicht aber unbedingt über den Bau des Atoms. Mit der Olympiade der jungen Forscher sollten keine kleinen Einsteins, aber auch keine Streber gesucht werden, sondern einfach neugierige junge Leute, die sich mit einer selbständigen, über den Schulunterricht hinausgehenden Arbeit beteiligen sollten.

Neben der Qualität kann sich auch die Quantität sehen lassen: Im Gründungsjahr 1965 hatten sich 244 Jungen und Mädchen beworben, in diesem Jahr sind es zehnmal so viel, über 2400 Jungforscher. Insgesamt haben rund 26.000 Schüler und Auszubildende am Wettbewerb teilgenommen.

"Jugend forscht"-Arbeiten sind oft ein erster Einstieg in die Wissenschaft. Doch nicht nur hoch begabte Schüler - die neben sehr guten Noten noch besondere Leistungen erbringen - gehören zu den Teilnehmern. Die zweite große Gruppe sind die "Bastler" und "Tüftler" mit praktisch-handwerklichen Begabungen, die oft in der Schule nicht zum Zuge kommt. Diese Gruppe - und das empfinde ich als kein Manko - hat keine hervorragenden Ergebnisse. Sie ist aber im Beruf dann wieder sehr erfolgreich.

Besonders wichtig sind inzwischen die "Nicht-Akademiker" bei "Jugend forscht": Teilnehmer, die aus vielerlei Gründen die Schule früh beendet haben und die in der Lehre und Ausbildung zusätzliche Leistungen erbrachten - vor allem in dem seit 1974 geschaffenen Gebiet "Arbeitswelt". Wie bei den Schülern die begeisternden Lehrer wichtig sind, so sind es auf diesem Gebiet die Ausbilder. Eine Gruppe besonders engagierter Betreuer bei der Firma Opel möchte ich lobend erwähnen.

Meine Laudatio - wenn ich es so nennen darf - gilt aber den Teilnehmern am Wettbewerb, von den Jungforschern wettbewerbsintern kurz "Jufo" genannt.

Sie sind meist das, was man in der Wirtschaft self-made-men nennt: Auf die Frage nach Anregung, Motivation, Interesse und Ausdauer antworten die meisten, daß ihr Interesse schon seit langem besteht, das es "in ihnen selbst" entstanden ist und vor allem vom "Reiz einer Problemstellung" angesprochen wird.
Wichtig finde ich, daß sie nicht nur neugierige Forscher und tüchtige Tüftler sind, sondern auch noch viele andere kreative Interessen wie Musizieren, Lesen haben.

Der siegreiche Jungforscher kommt aus Groß- und Millionenstädten. Es sind zu 80 Prozent Jungen und 20 Prozent Mädchen (der Anteil weiblicher Teilnehmer hat sich seit der Gründung verdoppelt). Die meisten Arbeiten werden in der Biologie (30 Prozent) und Chemie (20 Prozent) eingereicht - gefolgt von Technik. Dazu ein Tip: Wer einen Sieg nach Hause tragen will, sollte eine Arbeit in Geo- und Raumwissenschaften oder Arbeitswelt einreichen: Da ist die Konkurrenz nicht ganz so groß.

Vielleicht sind noch zwei weitere Ergebnisse typisch für unsere Jungforscher: Sie studieren zielstrebig, zügig und erfolgreich und bleiben auch nach abgeschlossener Ausbildung fast zur Hälfte im Bereich Wissenschaft und Forschung tätig. Der Name "Jugend forscht" besteht also zu Recht.

Es gibt ein Untersuchungsergebnis, das die Bildungspolitiker aller Parteien interessieren wird. Es ist eine kleine Sensation: Die Abitur-Durchschnittsnoten sind im Laufe der zwanzig "Jugend forscht"-Jahre sehr steil angestiegen. Hier ist an einer neutral gewonnenen Gruppe der Beweis erbracht, daß seit 1966 tatsächlich die Schulnoten bei immer mehr Gymnasiasten zusehends besser geworden sind - zum Teil durch die Abwahl von Fächern manipuliert. Man kann also deutlich davor warnen, aus Schulnoten-Durchschnitten irgendwelche Folgerungen zu ziehen.

Eine Information aus der Untersuchung der Studienstiftung hat mir persönlich natürlich besonders gut gefallen - und ich denke, das wird Ihnen auch so gehen: daß vor allem die Wettbewerbssieger die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeiten publiziert haben. Mehr als die Hälfte aller Biologen, Chemiker und Geowissenschaftler haben ihre Erfahrungen aufgeschrieben. Die Summe der "Jugend forscht"-Publizistik allein der Sieger hört sich wirklich bedeutend an. Insgesamt sind bisher

  • 1683 wissenschaftliche Artikel,
  • 65 Bücher,
  • 362 Beiträge in Sammelwerken,
  • 441 andere Publikationen
  • sowie 98 Patente

entstanden. Die Chemiker, Geowissenschaftler und Physiker haben übrigens die meisten Patente oder Gebrauchsmuster angemeldet.

Ich denke, daß diese Daten belegen, daß wir mit Hilfe von "Jugend forscht" naturwissenschaftlichen Nachwuchs gewonnen haben. Und ich bin froh darüber, durch den "stern" mit einer Aktion verbunden zu sein, die Talente fördert, Leistung honoriert und jene motiviert, die Spaß daran haben, zu tun, was wache junge Menschen immer taten: Herauszufinden, was ist, und dann zu fragen: Muß das so sein? "Jugend forscht" - das ist heute, in einer Zeit, die dramatisch durch die Wissenschaften verändert wird, wichtiger denn je.

Was heute natürlich besonders auffällt, daß zwei große Themenkomplexe - nämlich Umwelt und Computer - zu den großen "Rennern" des Wettbewerbs gehören. 1967 gab es nur zwei mit Preisen bedachte ökologische Themen im Wettbewerb. Seitdem ist die Zahl der Umweltforscher rapide gestiegen; heute beherrschen sie die jährlichen Konkurrenzen. Während in den ersten Wettbewerbsjahren phantasievoll gebastelte Computer vorgestellt wurden, wird etwa seit 1980 der Rechner als Werkzeug benutzt. Dies zeigt, daß Wissenschaft und Forschung auch auf aktuelle Fragen Lösungsansätze anbieten, daß junge Leute Problemlösungen suchen und finden.

Besonders möchte ich aber auch noch auf die Betreiber des Wettbewerbs eingehen: Denn aus der "stern"-Aktion ist inzwischen eine Staatsaktion geworden. Die zwei Millionen Mark, die "Jugend forscht" jährlich kostet, werden auf Regional- und Landesebene von den Patenfirmen aufgebracht und auf Bundesebene von der Bundesregierung und dem "stern" finanziert. Daß diese konzertierte Aktion zwischen Presse, Wirtschaft, Schule und Regierung sowohl unter christdemokratisch-liberalen Kabinetten und sozial-liberalen Koalitionen, zwischen Chemie- und Kraftwerk-Unternehmen und einem kritischen Magazin auch weiterhin funktioniert, freut mich besonders. Die Ausstellung, die auf 80 laufenden Metern sowohl die Historie wie auch den aktuellen Stand aufzeigt, macht dies besonders deutlich. Sie wird jetzt hier in Berlin zum bevorstehenden 20. Jubiläums-Bundeswettbewerb - der übrigens mit IBM ausgerichtet wird - erstmals gezeigt. Und der Stiftung "Jugend forscht" liegen bereits feste Buchungen für 20 weitere Orte in diesem und nächsten Jahr vor.


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