Wie die Roboter fühlen lernen
Stiftung Jugend forscht e. V. | 2006
Karsten Weiß – Bundessieger Technik 1998
Das Fernziel ist der perfekte künstliche Arbeiter: einer, der dem schraubenden Handwerker eine Rigipsplatte festhält, die normalerweise zwei Männer nicht heben könnten. Einer, der die riskanten Außenreparaturen an einer Raumstation übernimmt. Um diesem Ziel näher zu kommen, forscht Karsten Weiß seit Jahren an einer aus Sensoren bestehenden "künstlichen Haut". 1998 erringt er mit seiner Entwicklung im Alter von 19 Jahren den ersten Platz beim Bundeswettbewerb. Denn obwohl es schon lange menschenähnliche Roboter gibt, die stark genug für diese Aufgaben sind, bleibt ein Problem: Trotz Kamera im Kopf können sie nicht unterscheiden, ob ein Hindernis weich ist oder hart, leicht oder schwer, ob es sich wegschieben lässt oder ob sie ausweichen müssen. Dazu fehlt ihnen der Tastsinn, der bei Menschen bekanntlich "unter der Haut" sitzt. Karsten Weiß ist auf dem besten Weg, dieses Manko der Roboter durch künstliche, mit Sensoren besetzte Haut auszugleichen.
Schon mit sieben Jahren zerlegt Karsten Weiß Kaffeemaschinen, Fernseher und Videorekorder, mit 16 ist er Hilfskraft am Frauenhofer-Institut. "Aber ohne Jugend forscht wäre ich nie dahin gekommen, wo ich heute bin", sagt er. "Jeder Wettbewerb hat mich zu neuen Erfindungen angetrieben." Viermal nimmt der Nachwuchswissenschaftler bei Jugend forscht teil, auf den großen Erfolg beim Bundeswettbewerb folgt sogar ein zweiter Platz beim EU-Wettbewerb in Porto. Beide Platzierungen verdankt er seiner "Digikuh". Das Gerät misst mittels Sensoren, wie viel Druck eine Melkmaschine auf den Euter ausübt, und stellt ihn auf dem Computer dar. Die "taktile Sensorik" soll helfen, zu starken Druck und damit Entzündungen am Euter zu vermeiden. Das Prinzip hat Karsten Weiß schon 1997 entwickelt und mit seiner "künstlichen Haut" einen dritten Platz beim Bundeswettbewerb belegt. Durch eine Verfeinerung der Verfahren reicht das Niveau des Projekts ein Jahr später für den ganz großen Wurf im Jugend forscht Finale. Mittlerweile arbeiten verschiedene Institute der Universität Karlsruhe an einem Roboter, der komplett mit künstlicher Haut und Sensoren überzogen sein soll. Dabei ist die Hand, so Weiß, "die Königsklasse". Schließlich soll der Roboter mit einem Ei zwischen seinen Fingern anders umgehen als mit einem Stein.
Schnell ist es gegangen für Karsten Weiß nach seinem Bundessieg. In Rekordzeit hat er in Stuttgart Maschinenbau studiert, im Durchschnitt brauchen Studenten dort 12,3 Semester bis zum Diplom, er ist in sieben fertig. Mittlerweile promoviert er in Karlsruhe, natürlich spielt die künstliche Haut der Roboterhand auch dort eine Rolle, ist wesentlicher Bestandteil seiner Dissertation. Im Institut für Prozessrechentechnik, Automation und Robotik betreut er als wissenschaftlicher Mitarbeiter Seminare, in denen ein Großteil der Studenten älter ist als er selbst. "Ganz nebenbei" firmiert Karsten Weiß als Unternehmer. "Im Moment habe ich die Firma nur, um mir meine Forschung zu finanzieren." Weiß-Robotics heißt das Unternehmen, das derzeit nur einen Mitarbeiter beschäftigt – ihn selbst. Eine größere Firma übernimmt derweil den Vertrieb der Sensoren, man ist schließlich auch noch Student. Mit Hobbys. Karsten Weiß tanzt sowohl Standard als auch Latein und sucht darüber hinaus Ausgleich durch Wassersportarten wie Windsurfen und Segeln.
Zwei große Träume bleiben dem Technik-Talent: Dass Roboter irgendwann ganz selbstverständlich mit einer Schere umgehen – und dass sie eine Tür öffnen können. Da muss nämlich nicht nur eine Klinke heruntergedrückt, sondern auch eine Bogenbewegung mit dem Arm vollzogen werden, was besonders schwierig ist. Vielleicht bastelt Karsten Weiß aus dieser Herausforderung seine Habilitation.
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