Alte Hüte mit ein paar frisierten Details

Stiftung Jugend forscht e. V. | 2006

Christian Kuhtz – Bundessieger Technik 1977

Christian Kuhtz

Kleine Jungen wollen Erfinder werden. Zumindest die, die sich für Technik und Naturwissenschaften interessieren. Wer sich dann entschließt, bei Jugend forscht mitzumachen, hat gute Chancen, seinem Traum ein Stück näher zu kommen. Schließlich kann man Kontakte zu Wissenschaftlern knüpfen, seine Erfindungen begutachten und bewerten lassen und tolle Ideen vielleicht sogar zum Patent anmelden. Doch offensichtlich ändern sich die Berufswünsche, wenn aus kleinen Jungen große werden. Viele der ehemaligen Teilnehmer bleiben zwar den Naturwissenschaften treu, Erfinder werden jedoch die wenigsten. Eine dieser Ausnahmen ist Christian Kuhtz, der seinen Jungentraum wahr gemacht hat. Er war schon vor der Teilnahme am Wettbewerb Erfinder und wird wohl auch immer einer bleiben. Hauptberuflich, versteht sich.

Sonnenkollektoren, Windrad, Schwerlast-Dreirad: Die Erfindungen von Christian Kuhtzverbindet vor allem der ökologische Nutzwert. Er entwickelt und konstruiert technische Anlagen, die im extremsten Fall ein Leben als Selbstversorger, zumindest aber immer ein energie- und ressourcenarmes Wohnen ermöglichen. Aus einfachsten Bauteilen und Schrott entstehen auf Basis von physikalischen Prinzipien Maschinen, die es in sich haben. Der Erfinder selber nennt seine Entwicklungen "alte Hüte mit ein paar frisierten Details". Und diese Details überzeugen 1977 auch die Jury bei Jugend forscht. Mit einer selbst gebauten Sattlernähmaschine tritt Christian Kuhtz beim Bundeswettbewerb in Berlin an und gewinnt aus dem Stand den ersten Platz im Fachgebiet Technik. Dabei hat auch diese Erfindung einen eigentlich banalen Ursprung. Der Teenager Christian ärgert sich, dass teure Schuhe nur geklebt werden und dementsprechend schnell kaputtgehen. Nach einem gründlichen Blick auf alte, genähte Schuhe und mit Leisten und Leder vom Sperrmüll ausgestattet, näht er sich selbst ein paar Schuhe. Diese halten zweieinhalb Jahre und liefern die Ursprungsidee für das Jugend forscht Projekt. Weil Christian Kuhtz nicht nur mit industriell gefertigten Schuhen, sondern ebenso mit Kleidung unzufrieden ist, näht er auch die in Heimarbeit. Kein Wunder, dass er sich mit Nähmaschinen auskennt. Während andere antike Nähmaschinen auf Flohmärkten als nostalgische Dekorationsartikel verkaufen, macht Christian Kuhtz die alten Schätzchen wieder flott – und gewährt seinen Kunden zehn Jahre Garantie. So entsteht die Sattlernähmaschine. Den Impuls für die Wettbewerbsteilnahme gibt letztendlich ein Lehrer. Als der Schüler Christian wieder einmal "bei der Beschäftigung mit unterrichtsfremden Dingen", sprich beim Zeichnen von winzigen Konstruktionsskizzen erwischt wird, fragt der besorgte Pädagoge nach. Und ist von der Freizeitbeschäftigung seines Schülers so beeindruckt, dass er eine Teilnahme bei Jugend forscht vorschlägt.

Auch wenn der Bundeswettbewerb bei Christian Kuhtz keine berufliche Neuorientierung bewirkt: Ein tolles Erlebnis ist er allemal. Er fühlt sich geehrt und schätzt die Möglichkeit, wichtige Kontakte zu knüpfen. "Auch zu Zeiten der so genannten Energiekrise fand ich es sinnlos, einfach demonstrieren zu gehen, ohne Alternativen aufzeigen zu können", gibt sich Christian Kuhtz kritisch. Nach seinem Bundessieg geht es mit der Nähmaschine weiter. Er lässt sich vor allem seinen "Fadenführungszahn" patentieren, der verhindert, dass die Nadel mehrere komplizierte Bewegungen machen muss, um Ober- und Unterfaden zu verbinden. Zu einer Vermarktung kommt es allerdings nicht. Stattdessen meldet sich eine Firma aus Berlin, die die Maschine in Selbstbauwerkstätten in der dritten Welt einsetzen will. Und bei der Nähmaschinenfabrik Pfaff, die auch schon vor dem Wettbewerb besonders kooperativ ist, macht der junge Erfinder nach dem Abitur ein einjähriges Praktikum. Ihm geht es vor allem um die Erfahrung mit dem Werkstoff Metall, denn sein Berufswunsch steht schon lange fest. Um diesen trotzdem durch eine formale Qualifikation zu untermauern, studiert Christian Kuhtz in Kiel Produktdesign. Dort lebt er auch heute noch mit seiner Frau, einer Lehrerin, und dem sechsjährigen Sohn Liam. Für beide schmeißt er gerne den Haushalt. Keine Frage, dass sein Wohnhaus durch besonders einfache ökologische Technik beeindruckt.

"Ökologisch" und "effizient" – diese beiden Worte ziehen sich durch Kuhtz Leben. Nur konsequent, dass er sich überlegt, wie möglichst viele Menschen von seinen Erfindungen profitieren können. Anstatt seine Dienste Einzelnen anzubieten, hat sich der Berufserfinder entschlossen, seine Ideen über Bauanleitungen im Selbstverlag zu vertreiben. Für ein paar Euro kann man unter dem Titel "Einfälle statt Abfälle" Instruktionen für den Bau von Abwärme-Öfen aus Lehm oder die günstige Fahrradreparatur erwerben. Selten (und nur für Institutionen, die ihm nahe stehen) veranstaltet Christian Kuhtz Seminare. Dann baut er mit vielen Helfern beispielsweise eine Solarwärmeanlage auf einen Bauernhof und gibt sein Know-how auf diese Art weiter. Das Geld für die Patentanmeldung seiner Erfindungen spart sich der Bastler inzwischen. Zu viel Stress, zu viel Ärger. Da denkt Christian Kuhtz demokratisch. Seine Erfindungen soll jeder verwirklichen können. Ärger hat er so allerdings auch: Neben fair gehandelten Bauanleitungen gibt es bei ebay zunehmend Betrüger, die raubkopierte Exemplare gegen Bares verschachern. Nach einem erfolgreich geführten Prozess müssen diese den illegalen Vertrieb seiner Bauanleitungen jedoch unterlassen. Und prompt macht sich das in den Verkaufszahlen bemerkbar: Kuhtz' Anleitungen gehen weg wie warme Semmeln. Allein von seinem Plan zum Bau eines Windrades sind über 4000 Exemplare im Umlauf. Und mittlerweile gibt es bereits vier neue Baupläne. Das ist aber nicht die einzige gute Nachricht: Seit 2006 freuen sich die Kuhtz' über ein neues Familienmitglied.

Wie gut, dass Christian Kuhtz weitestgehend in der Lage ist, sich und seine Familie im wahrsten Sinne des Wortes selbst zu versorgen. 70 Kilowattstunden Strom kauft die Familie im Jahr dazu. Geradezu läppisch, wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher Haushalt das Hundertfache verbraucht. Und mit seinem neuen, optimierten Windrad, das sich in der Planungsphase befindet, wird er in Zukunft auf Stromzukäufe sogar gänzlich verzichten können. Wenn das keine guten Aussichten sind.


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