700 Meter für eine Mark!
Stiftung Jugend forscht e. V. | 2006
Victor und Nikolaus Brantl – Bundessieger Technik 1969
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie: Zwei junge Männer blicken stolz und mit einem freudigen, geradezu siegesgewissen Lächeln in die Kamera. Jeder von ihnen hält einen Gegenstand in Händen, der unschwer als Rakete zu identifizieren ist. Im Hintergrund sind weitere Flugkörper dieser Art zu sehen, zum Teil tragen sie Aufschriften wie USA oder US Air Force. Das Bild wirft Fragen auf: Wer sind die beiden glücklich dreinschauenden Jungen im Alter von schätzungsweise 20 Jahren? Was verbindet sie mit diesen wie überdimensionale Spielzeuge wirkenden Raketen? Welchen Zweck erfüllen die Geschosse?
Um diese Rätsel zu lösen, ist eine Zeitreise zurück ins Jahr 1969 nötig. Ein Blick in die Siegerliste des 4. Bundeswettbewerbs Jugend forscht bringt Licht ins Dunkel: "Victor Brantl, 19 Jahre, und Nikolaus Brantl, 21 Jahre, vom Oskar-von-Miller-Gymnasium in München erringen mit ihrem Raketenprojekt den ersten Preis im Fachgebiet Technik", ist dort nachzulesen und könnte gleichzeitig als klärende Bildunterschrift dienen. Doch was für Raketen präsentieren die beiden Jungforscher 1969 so erfolgreich der Bundesjury? Wollten die jungen Forscher damit das Raumfahrt-Programm der USA unterstützen oder handelt es sich gar um eine Vorstufe waffenfähiger Flugkörper?
Nein, Victor und Nikolaus Brantl haben anderes im Sinn. Das Entwicklungsziel der beiden Vettern ist es vielmehr, eine billige, ungefährliche und ausbaufähige Rakete zu Experimentierzwecken herzustellen. "Angefangen hat eigentlich alles im November 1965 mit dem Kauf von 20 g Ammoniumnitrat in einer Apotheke, das wir als Raketentreibstoff ausprobieren wollten", erinnert sich Victor Brantl, heute als Berater für pharmazeutische Forschungsprojekte tätig. "Wir wussten, dass Feuerwerksraketen mit Hilfe von Hartpapierhülsen und darin eingepresstem Schwarzpulver als Treibstoff produziert werden. Unser Treibstoff sollte das Nitrat werden." Die ersten Versuche verlaufen wenig zufrieden stellend für die beiden Tüftler: Das Nitrat will einfach nicht brennen.
Die Misserfolge zwingen die Brantls, genauer nachzulesen, und sie erfahren, dass sie einen zusätzlichen Brennstoff benötigen. Daher entscheidet sich das Duo für einfaches Löschpapier. In einem zweiten Anlauf vermengen sie Papierschnitzel mit Ammoniumnitrat und bringen beides in eine Packpapierhülse ein. Diese soll verhindern, dass beim Zünden gefährliche Splitter herumfliegen. Unvorsichtig wollen die Experimentierer nicht sein. Den Sicherheitsaspekt haben sie voll im Blick. Doch erst eine erneute Abwandlung der Raketenfüllung bringt den Papierhülsen schließlich das Fliegen bei: Viktor und Nikolaus ziehen das Löschpapier durch eine wässrige Lösung des Nitrats, um es anschließend zu trocknen und erneut zerkleinert einzufüllen.
Endlich brennt das Treibstoffgemisch gleichmäßig ab und bringt flugfähige Raketen hervor, nun allerdings – eine neue Herausforderung – müssen die Hülsenkörper verstärkt werden. Die beiden kreativen Schüler finden auch eine Lösung für dieses Problem: In Wasserglas getränktes Zeitungspapier macht die Papierrohre stabiler. – In den Jahren 1966 bis 1968 werden die Raketen langsam, aber sicher weiterentwickelt, wobei jedoch immer wieder neue Schwierigkeiten auftreten: Mal gilt es, einen Ersatz für das ach so knappe Löschpapier aus den Schulheften zu finden, mal drohen gar elterliche Startverbote den Fortgang der Arbeiten zu behindern. Eine deutliche Wandlung erfährt das Gesamtprojekt durch die ermunternden Worte des gemeinsamen Physiklehrers, doch am Wettbewerb Jugend forscht teilzunehmen: "Abmelden kann man sich immer noch", macht ihnen der Pädagoge Mut.
Wissenschaftliche Aspekte stehen nun plötzlich im Vordergrund bei den Raketenexperimenten. "Das war gar nicht so einfach. Erstmalig mussten wir unsere spontanen Entwicklungsschritte in Form einer schriftlichen Arbeit stringent und nachvollziehbar zu Papier bringen", beurteilt Nikolaus Brantl diese Phase auch nach so langer Zeit noch als schwierig. Aber diese Hürde meistern Victor und Nikolaus Brantl mit Bravour. Der Bundeswettbewerb 1968 in Frankfurt bringt ihnen auf Anhieb den 3. Preis für das eingereichte Raketenmodell: Größe 54 cm, Schub 2 kp, Flughöhe 700 m und das Ganze bei einem Materialkosteneinsatz von ca. 1,00 DM!
Die Bronzemedaille empfinden die beiden jedoch als nicht wirklich zufrieden stellend. So treten sie im Folgejahr wieder an und präsentieren nun sogar zwei Raketentypen. Die Jury ist begeistert, die Presse hebt die findigen Raketenforscher in die Schlagzeilen. Kein Wunder: Das kleinere der beiden Flugobjekte aus Papier, 80 cm lang und mit einem Durchmesser von 5,5 cm, erreicht die unglaubliche Flughöhe von 8400 m. Und kostet dabei nicht mehr als 1,90 DM. Die beiden Erfinder stehen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. "Selbst das Fernsehen kam", berichtet Victor, der Jüngere der beiden. "Wir lernten in dieser Zeit nicht nur, wie wir unser Projekt präsentieren und zum Patent anmelden, sondern mussten auch lernen, mit Presserummel und Ruhm umzugehen."
All die Mühen haben sich offensichtlich gelohnt. Der promovierte Chemiker blickt auf ein erfolgreiches Forscherleben zurück. Er verfasst weit mehr als 60 wissenschaftliche Veröffentlichungen und meldet sechs Patente an. Den Traum vom Fliegen erfüllt sich hingegen sein Mitstreiter von damals. Zwar nicht mit einer Rakete, sondern mit dem Flugzeug. Der niedergelassene Zahnarzt Nikolaus Brantl ist heute noch ein begeisterter Hobbypilot mit einer Vorliebe für Langstreckenflüge: Nordkap, Sahara… "Jugend forscht hat mir in allen Bereichen die dritte Dimension eröffnet", so sein Fazit über die erfolgreiche Projektarbeit in jungen Jahren.
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