Historie

Einzigartiges Netzwerk zur Talentförderung mit herausragender Erfolgsbilanz

„Sputnik-Schock“ und „Bildungsnotstand“: Schon in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stand das deutsche Bildungssystem in der Kritik. Der damalige stern-Chefredakteur Henri Nannen jedoch ließ es nicht bei journalistischen Schlagworten bewenden. Er startete eine gesellschaftlich breit angelegte Initiative, um den qualifizierten Nachwuchs an jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern. Unter dem Motto „Wir suchen die Forscher von morgen!“ rief Nannen im Dezember 1965 erstmals zur Teilnahme an Jugend forscht auf.

Das Vorbild für Jugend forscht kam aus den USA. Dort hatten „Science Fairs“ bereits eine lange Tradition: Bei den im Stil von Messen organisierten Wettbewerben stellten junge Menschen ihre Forschungsprojekte und Erfindungen neben einer fachkundigen Jury auch der breiten Öffentlichkeit vor.

Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft

Für die Idee, Science Fairs auch in der Bundesrepublik durchzuführen, fand Nannen auf Anhieb tatkräftige Unterstützung. Mehrere große Unternehmen übernahmen Patenschaften für die Wettbewerbe in den einzelnen Bundesländern. Heute wie damals richten die Partner die Wettbewerbe aus, stiften Preise und fördern weitere Aktivitäten wie etwa Ehemaligentreffen. Seit über fünf Jahrzehnten ist dieses Konzept ein zentrales Erfolgsrezept des Wettbewerbs. Mittlerweile unterstützen rund 250 Partner Jugend forscht mit einer jährlichen Summe von rund 10 Millionen Euro. Neben mittelständischen Firmen und weltweit agierenden Unternehmen engagieren sich auch Hochschulen, Forschungsorganisationen, Stiftungen und Verbände. Ohne diese Public-private Partnership wäre die Durchführung des Wettbewerbs nicht denkbar. Mit seinem innovativen Finanzierungsmodell bewies Nannen Weitblick, denn so erhielt Jugend forscht eine zukunftsfähige, dezentrale Organisationsstruktur. Heute finden pro Runde auf Regional-, Landes- und Bundesebene insgesamt mehr als 120 Wettbewerbe statt.

1990 stellte die deutsche Wiedervereinigung auch Jugend forscht vor eine große Herausforderung. Binnen kurzer Zeit musste die Infrastruktur des Wettbewerbs auch in den neuen Ländern aufgebaut werden. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, Patenunternehmen zu finden, stand die Organisation in wenigen Monaten. Bereits im März 1991 wurden in den fünf neuen Ländern Landeswettbewerbe ausgetragen; zwei Monate später fand der erste gesamtdeutsche Bundeswettbewerb statt.

Sieben Fachgebiete und zwei Alterssparten

Die zunächst eingeführte Bewertung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Geschlecht bzw. Zugehörigkeit zu einer Gruppe wurde bereits 1967 zugunsten verschiedener Fachgebiete aufgegeben. Zunächst standen die klassischen Schul- und Studienfächer Biologie, Chemie, Mathematik und Physik zur Wahl. 1968 kam das Fachgebiet Technik hinzu, ein Jahr später Geo- und Raumwissenschaften sowie 1975 Arbeitswelt. Dieses Fachgebiet sollte vor allem junge Auszubildende in stärkerem Maße für den Wettbewerb gewinnen.

Sehr bald stellte sich auch heraus, dass man für die zahlreichen Mädchen und Jungen der unteren Jahrgangsstufen eine eigenständige Sparte innerhalb des Wettbewerbs benötigte. Seit 1969 gibt es daher neben „Jugend forscht“ auch die Juniorsparte „Schüler experimentieren“ für alle Teilnehmer bis 14 Jahre.

In den zurückliegenden Jahrzehnten waren Jugend forscht Projekte immer auch ein Spiegelbild der sich wandelnden Fragestellungen in der naturwissenschaftlich-technischen Forschung: So überzeugte der erste Bundessieger 1966 die Jury mit seiner Entwicklung eines elektronischen Rechenapparats. Knapp 50 Jahre später waren zwei Bundessieger mit einem selbst konstruierten 3-D-Rotationsdrucker erfolgreich.

Von der stern-Aktion zur „Staatsaktion“

Henri Nannens Initiative zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses entwickelte sich binnen weniger Jahre zu einem bundesweit breit verankerten Netzwerk. Vorbildlich war und ist dabei die Zusammenarbeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen. Neben Unternehmen sowie öffentlichen und privaten Einrichtungen engagiert sich seit 1975 auch die Politik bei Jugend forscht. Durch die Gründung des gemeinnützigen Vereins Stiftung Jugend forscht e. V. als gemeinsames Förderwerk von Bundesregierung, stern, Wirtschaft und Schulen wurde die stern-Aktion zur „Staatsaktion“. Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft und das Bundesministerium für Forschung und Technologie übernahmen fortan im Wechsel den Vorsitz des Kuratoriums. Heute wird die Arbeit der Jugend forscht Geschäftsstelle in Hamburg vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.

Der Bundespräsident begleitet den Wettbewerb seit 1977 als Schirmherr und Preisstifter. Ein Preisstifter mit Tradition ist auch der Bundeskanzler, einer seiner Vorgänger lobte 1971 zum ersten Mal den Preis für die originellste Arbeit aus. Seit 1981 reisen neben dem Gewinner dieses Sonderpreises auch alle Platzierten des Bundeswettbewerbs zum Kanzlerempfang in die deutsche Hauptstadt.

Ehrenamtliches Engagement als Eckpfeiler

Das große gesellschaftliche Ansehen des Wettbewerbs zeigt sich auch an der Bereitschaft vieler Menschen, sich ehrenamtlich bei Jugend forscht zu engagieren. Heute unterstützen den Wettbewerb mehr als 5 000 Lehrkräfte als Projektbetreuende und Wettbewerbsleitungen. Über 3 000 Fach- und Hochschullehrkräfte sowie Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft sind jedes Jahr als Jurorinnen und Juroren tätig. Ihre freiwillige Mitarbeit ist ein wesentlicher Eckpfeiler von Jugend forscht, der eine Beteiligung von vielen Tausenden Jugendlichen pro Runde erst möglich macht.

Stetig steigende Anmeldezahlen

Seit Henri Nannen Jugend forscht 1965 aus der Taufe hob, hat der Wettbewerb ständig an Attraktivität gewonnen. In der ersten Wettbewerbsrunde waren es „nur“ 244 Mädchen und Jungen, die sich beteiligten. 1971 wurde bereits die Tausendermarke überschritten. Zur 50. Wettbewerbsrunde meldeten sich 11 502 Jungforscherinnen und Jungforscher an, davon immerhin knapp 36 Prozent Mädchen. 1966 waren es nur 8 Prozent gewesen. Insgesamt haben sich seit der Gründung mehr als 300 000 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler am Wettbewerb Jugend forscht/Schüler experimentieren beteiligt.

Wirksames Instrument zur Nachwuchsförderung

Heute lässt sich zweifellos sagen, dass Jugend forscht sein von Henri Nannen proklamiertes Ziel erreicht hat. Seit vielen Jahrzehnten findet und fördert Deutschlands bekanntester Nachwuchswettbewerb die Forscherinnen und Erfinder von morgen. Jugend forscht ist ein äußerst wirksames Instrument zur Talentförderung. Neun von zehn erfolgreichen Wettbewerbsteilnehmenden studieren später ein naturwissenschaftlich-technisches, mathematisches oder medizinisches Fach. Im Anschluss an das Studium ist etwa die Hälfte der ehemaligen Bundessiegerinnen und Bundessieger im Bereich Forschung und Entwicklung an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in Unternehmen tätig. Für eine ganze Reihe wissenschaftlicher Karrieren war Jugend forscht der Ausgangspunkt. Die gilt etwa für die Physik-Professorin und Leibniz-Preisträgerin Gisela Anton, den SUN-Microsystems-Gründer Andreas von Bechtolsheim oder den Vater der Pisa-Studie Andreas Schleicher.

Talentschmiede mit Modellcharakter

Die Anmeldezahlen bei Jugend forscht beweisen, dass es trotz der weiterhin bestehenden Kritik am deutschen Bildungssystem möglich ist, junge Menschen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) zu begeistern. Bereits Mitte der 1960er Jahre etablierte der Wettbewerb einen innovativen Ansatz für die Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte, der nach wie vor Modellcharakter besitzt: Zentrale Reformansätze aus der aktuellen Bildungsdiskussion sind bei Jugend forscht seit Langem gelebte Praxis. So bietet die Projektarbeit einen optimalen Rahmen, um Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten individuell zu fördern. Durch forschendes Lernen können sich die Jugendlichen zudem schon frühzeitig mit dem Handwerkszeug des wissenschaftlichen Arbeitens vertraut machen und dadurch eine Methodenkompetenz erlangen, die zu den Kernqualifikationen der heutigen Wissensgesellschaft gehört. Darüber hinaus sind das eigenverantwortliche wie auch das fächerübergreifende Arbeiten bei Jugend forscht eine wichtige Orientierungshilfe für Schule und Unterricht.


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