Deutsche Schüler sind besser als ihr Pisa-Ruf

Welt Online | 5. Dezember 2007

Die Reformen der letzten Jahre zeigen Wirkung: In der aktuellen Pisa-Studie schneiden die deutschen Pennäler vergleichsweise gut ab. Sie sind also besser, als ihr Ruf der letzten Jahre es sie glauben lässt. Das Grundproblem des hiesigen Schulsystems ist aber noch lange nicht gelöst

Eigentlich wurde die internationale Pisa-Studie geschaffen, um das Leistungsniveau von Bildungssystemen zu messen. Seit 2000 testet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nun schon 15-jährige Schüler. Anfangs hat man in Deutschland noch konstruktive Debatten über Stärken und Schwächen des Schulsystems geführt. Inzwischen aber ist daraus ein erbitterter politischer Kampf um die richtige Interpretation der Pisa-Ergebnisse geworden. Daran beteiligt sich sogar die OECD-Behörde selbst.

Deutschland ist im internationalen Vergleich ein paar Plätze vorgerückt
So war es der Leiter der weltweiten Pisa-Studie, Andreas Schleicher, der die vereinbarte Informationssperre vor wenigen Tagen durchbrach. Überraschend zog er zudem die Vergleichbarkeit der Pisa-Ergebnisse in Zweifel. Mancher Beobachter vermutet dahinter einen Versuch, die leidige Schulstrukturdebatte wieder zu entfachen – Schleicher wirbt seit Jahren für Gesamtschulen. Aber all das lenkt natürlich ab von der entscheidenden Frage, ob sich die Leistungen der deutschen Schüler, die noch 2001 ein denkbar schlechtes Pisa-Zeugnis ausgestellt bekamen, verbessert und sich die zahlreichen Schulreformen gelohnt haben.

Bildung ist ein entscheidender Rohstoff der Volkswirtschaft

Und weil der Rohstoff Bildung ganz entscheidend für den Erfolg einer Volkswirtschaft ist, interessieren sich nicht nur Politiker, Lehrer, Schüler und Eltern, sondern auch Ökonomen für die Pisa-Studie. Ihnen allen hat der Leiter des deutschen Pisa-Konsortiums, Manfred Prenzel, bei der Vorstellung der neuen Ergebnisse versichert, dass es im Bildungswesen aufwärts gehe.

Handelte es sich dabei nur um Beruhigungspillen? Nein, bekräftigte der Kieler Wissenschaftler, die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen ließen sich zweifellos vergleichen. Er selbst habe die Aufgaben seit 1998 maßgeblich mitentwickelt. Da man die Untersuchung inzwischen erweitert habe, sei der Vergleich mit den Studien von 2000 und 2003 zwar nicht gerade leicht – aber möglich.

Wie man hört, trauten die deutschen Wissenschaftler ihren Augen nicht, als sie zum ersten Mal die neuen Testergebnisse begutachteten. Denn sie sahen, dass die vielen Reformen, die die Länder im Bildungswesen seit 2001 angestrengt haben (siehe auch den Bericht unten), bereits ihre Wirkung entfalten. Bisher ging man davon aus, dass sich der Erfolg einer tief greifenden Bildungsreform erst nach etwa zehn Jahren bemessen lässt, dann nämlich, wenn ein kompletter Schülerjahrgang davon profitieren konnte. Die Gründlichkeit der hiesigen Bildungsreformer scheint diesen Prozess jedoch beschleunigt zu haben.

Deutsche Schüler sind weit von der Weltspitze entfernt

Natürlich sind die deutschen Kinder noch weit von der Weltspitze entfernt. Jedoch spricht Prenzel von einem „bedeutungsvollen Zuwachs“ bei den Schulleistungen: In den Naturwissenschaften hatte Deutschland im Jahr 2000 mit einem Wert von 487 Pisa-Punkten den 20. Rang belegt und ein Ergebnis unterhalb des Durchschnitts der OECD-Staaten erzielt.

Drei Jahre später erklommen die hiesigen Schüler dann den 15. Platz (502 Punkte) und lagen damit schon im OECD-Mittel. Inzwischen sind sie mit einem weit überdurchschnittlichen Ergebnis (516 Punkte) auf den 8. Platz unter den 30 OECD-Mitgliedsstaaten vorgerückt (wertet man alle Teilnehmer der Studie, belegen sie immerhin noch den 13. Rang). Zum Vergleich: Finnland erreicht als Pisa-Sieger insgesamt 563 Punkte. 38 Pisa-Punkte Unterschied entsprechen etwa dem Wissensstand eines ganzen Schuljahres.

Auch in der Mathematik und im Lesen lassen sich der Studie zufolge Fortschritte nachweisen. Sie fallen zwar deutlich geringer aus, doch will Prenzel das Augenmerk auch hier auf den positiven Trend gelenkt wissen: Im Lesen lag Deutschland im Jahr 2000 noch auf dem 21. Platz und damit unterhalb des OECD-Durchschnitts. Inzwischen aber haben sich die Schüler auf den 14. Platz vorgeschoben – mit überdurchschnittlichen Leistungen. In der Mathematik verbesserten sie sich im gleichen Zeitraum vom 20. auf den 14. Platz. Auch hier liegt man jetzt im OECD-Mittel. Prenzel spricht mit Blick auf diese Entwicklung von einer „Stabilisierung“.

Das wohl größte Problem im deutschen Bildungswesen ist aber nach wie vor eine zu enge Koppelung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Vor allem zeigt sich dies bei Kindern mit Migrationshintergrund. Aber auch hier sieht der deutsche Pisa-Chef Licht am Ende des Tunnels, da die so genannte „Risikogruppe“ seit 2000 deutlich kleiner geworden ist. „Wir sehen, dass es möglich ist, die Koppelung abzuschwächen“, sagte Prenzel. Er forderte die Politik auf, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um schwachen Schülern zu helfen.

Reformen entfalten Wirkung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit

Die Reformen entfalten ihre Wirkung also mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Bemerkenswert ist jedoch aus deutscher Sicht, dass nur wenige Länder einen Aufwärtstrend zu verzeichnen haben; viele stagnieren, einige haben sich im Pisa-Ranking sogar verschlechtert. Beispiel Lesen: Seit Pisa 2000 hat sich die Leseleistung Deutschlands um elf Punkte verbessert. Größere Steigerungen gab es in diesem Zeitraum lediglich in Korea und Polen.

Die Kultusminister der Länder haben nach dem so genannten „Pisa-Schock“ 2001 ein ganzes Bündel an Reformen auf den Weg gebracht. Das veränderte die Schulen seither erheblich. Heute gibt es allenthalben Sprachtests- und Sprachkurse in der Vorschule, Förderunterricht für schwache Kinder, Ganztagsschulen, zentrale Prüfungen, Vergleichstests unter den Ländern und Bildungsstandards für die Abschlüsse. Diese Veränderungen haben ganz sicher ihren Anteil an dem Erfolg, den die deutschen Pisa-Forscher nachzuweisen suchen.
Hinzu kommt ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt: Als Folge des Pisa-Desasters vor sieben Jahren ist die Schule wieder ins Zentrum politischer und gesellschaftlicher Debatten gerückt. Die Bildungspolitik ist längst kein Orchideenfach mehr. Diesen Klimawandel spürt man gerade da, wo er entscheidendes bewirken soll: in den Schulen. Die Pisa-Studie sorgte hier zunächst für Frustration, weil mit ihr so viele Veränderungen einhergingen. Heute aber sind die Schulen selbstbewusster, selbstständiger, kreativer und leistungsbereiter geworden. Der Pisa-Schock ist verdaut. Die Studie hat viele Kräfte freigesetzt – bei Lehrern, Schülern und Eltern.

Bei all den erfreulichen Nachrichten über das deutsche Schulwesen bleiben aber schier unüberbrückbaren Differenzen: Herr Prenzel und die OECD sind sich nach wie vor nicht einig darüber, ob die Pisa-Ergebnisse vergleichbar sind oder nicht. Die Kultusminister der unionsgeführten Länder wiederum halten an ihrer Rücktrittsforderung gegen Herrn Schleicher fest. Und auch der Streit um das beste Schulsystem harrt noch seiner Beilegung.

Von Joachim Peter


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