Ein Künstler

Manager Magazin | Juli 2010

Wie kein anderer Deutscher hat Andreas von Bechtolsheim die zeitgenössische Computerindustrie geprägt. Längst wird sein Einfluss mit dem von Steve Jobs verglichen

Der Weg zu dem Weltmann, Multimilliardär, Segel-, Google-, Apple- und Porsche-Freund, zu dem Computergenie und Sohn eines Volksschullehrers vom Bodensee führt nach Menlo Park im Süden von San Francisco und dort erst einmal eine Treppe hinunter.

Mit seiner aktuellen Firmenkreation, Arista Networks, die die schnellsten und billigsten Netzwerkschalter aller Zeiten herstellen lässt, und zwar in China, hat sich Andreas von Bechtolsheim (54) in der Middlefield Road 275 angesiedelt.

Hier arbeiten die meisten seiner rund 100 Leute in einem gelben, von Bäumen umstandenen, einstöckigen, freundlichen, aber etwas breitbeinig wirkenden Bürogebäude, das mit seinem Zwerchdach so aussieht wie ein Puppenhaus für Riesenmädchen.

Auch eine Zweigstelle der weltweit verbreiteten Kanzlei McDermott, Will & Emery hat hier Quartier bezogen. Ihr ist auch der Empfang unterstellt. Eine Frau hält ihn besetzt, die ihre Frisur in Ordnung bringt, während sie auf den Mann ihres Lebens wartet.

Sie zeigt mit dem Kinn nach links in Richtung Treppe, die ins Souterrain führt. Arista setzt gut 100 Millionen Dollar um, aber das ist im Silicon Valley noch kein Grund, irgendeinen Empfangszirkus zu veranstalten. Hier sehen die meisten Firmen so aus, als seien sie erst vor 20 Minuten gegründet worden.

Unten an der Tür hängt ein Zettel: "Arista Visitors and Deliveries: Please ring the bell or call 650-462-5000. Someone will come and meet you. Thank you." Auf einem Beistelltisch liegen Illustrierte herum. Von einer „Business Week" grinst Warren Buffett. Aber unten ist nur der Eingang, Bechtolsheim selbst, ein Ein-Meter-91-Schlaks, findet sich zwei Treppen höher ein, in einem dieser eingeglasten Besprechungszimmer mit Projektionsfläche an der Stirnseite, auf denen immer die Kritzeleien der letzten Sitzung stehen. Bechtolsheim ist spät dran, aber gut drauf.

Arista lanciert derzeit seinen Über- und Wunder-Netzwerkschalter 7500: "World's Fastest Ethernet Switch for Cloud Networking". Immer mehr Firmen lagern ihre Web-Technik ja aus in die Datenzentren von Amazon, IBM oder Microsoft, von AT&T oder Google.

Bei diesem Cloud Computing werden Zehntausende von Rechnern miteinander vernetzt in Anlagen, die so heiß laufen und so viel Strom fressen, dass man sie schon neben Wasserkraftwerken errichtet hat, und die umso besser arbeiten, je rascher sie sich untereinander Daten zuschießen können.

Und hier liefert Arista nicht nur die schnellsten und zuverlässigsten, sondern auch die energiesparendsten Weichen, auf denen die rasenden Daten verkehren. Andy, so heißt er hier, ist in diesen Wochen ständig unterwegs: Japan, New York, Las Vegas - Kundengespräche.

Normalerweise treibt er keinen Aufwand mit Äußerlichkeiten: Jeans, Hemd, Birkenstock-Sandalen - das ist seine Kluft. Heute trägt er allerdings einen hellgrauen Anzug, ein weißes Hemd, einen Schlips in irgendeinem Gelbton. Keine Armbanduhr, kein Ring - aber schwarze Socken. Sehr gut erkennbare schwarze Socken: Denn er trägt seine Birkenstock-Sandalen. Sie sind sein Markenzeichen.

Er schwingt seine Aktentasche auf den Tisch, wirft den Trenchcoat über die Stuhllehne - draußen hatte es seltsamerweise geregnet -, spricht über dies und das und über seinen 1998er Porsche, den letzten 911er aus der luftgekühlten Baureihe, weshalb er sich damals, ersatzteilehalber, auch gleich zwei davon gekauft habe. 100 000 Meilen stehen auf dem Tacho. Nicht schlecht, wenn man weiß, dass er meistens nur durchs Silicon Valley gurkt. Er wohnt ganz in der Nähe.

Aber er kommt dann auch gleich auf seine "Switches" zu sprechen, mit denen er den Marktführer Cisco ein bisschen in die Enge treiben will. Weil sie besser seien und nur halb so viel kosteten und weil Konzerne, wie er meint, "ihr Geschäftsmodell nur sehr schwer verändern können". Vor allem können sie nicht so schnell ihre Preise senken.

Wenn er redet, dann muss man sich das so vorstellen: Er senkt hin und wieder gern den Kopf, berührt die Stirn mit den Fingerspitzen, als wolle er sie vor Feindesstrahlung abschirmen, und schließt auch die Lider, um alles auszusperren, bis auf die Erinnerung. Als übe er schwierigen Text oder lausche der Weltformel.

"In normalen Firmen läuft es ja oft getrennt: Produktmarketing, Engineering, Verkauf. Wenn man aber wirklich engen Kontakt zum Kunden hat und versteht, was das Produkt können muss ... dann ist alles unheimlich viel einfacher. Das hat den Vorteil ... ich kann es praktisch so kurzschließen in meinem Gehirn."

Der Sanftmut seines Blickes, der amerikanische Dialekt, der sein Süddeutsch durchströmt, übt auf alle, zu denen er spricht, beruhigende Wirkungen aus. Sehr angenehm ist das Fehlen jeder Gefallsucht, Überhebung und Koketterie, und selbst seine Bescheidenheit tritt nicht störend hervor, wie es bei vielen Bescheidenen so häufig der Fall ist.

Nach allen bekannten Maßstäben fruchtbar in höchstem Grade, gesegnet mit der Gabe des Fassens und Vereinfachens, ist Bechtolsheim ein Künstler auf dem Gebiet des Programmierens. Einige der bestverkauften Systeme der Computerindustrie stammen von ihm.

Angefangen hatte er mit sechs, als er den Kassettenrekorder von Vater Heinrich zerlegte. Mit 16 machte er Abitur, gewann mit 18 bei "Jugend forscht", studierte Informatik in München und Pittsburgh, wechselte als Doktorand an die Stanford-Universität, entwickelte dort einen Arbeitsplatzrechner, der die alten Großrechner überflüssig machte, und gründete, statt zu promovieren, mit zwei Studienfreunden das Stanford University Network, das als Sun Microsystems Weltruhm erlangen und zu einem Milliardenkonzern werden sollte. Höchstpersönlich hatte Bechtolsheim die Branche in eine neue Ära geführt.

Der Börsengang 1986 machte ihn reich, sein Ausstieg 1995 noch reicher - doch weder schlaff noch faul: Bei weiteren Gelegenheiten trumpfte er auf wie ein Sagenheld, ersann blitzschnelle Chips und Schaltungen, die in ihrem Einsatzgebiet besser und billiger waren als alles Dagewesene, er ließ Firmen erblühen und verkaufte sie: Die eine (Granite Systems) für 220 Millionen Dollar an Cisco, die andere (Kealia) für 91 Millionen Dollar an seine alte Firma Sun.

Selbst als er schon tausend Jahre nicht mehr hätte zu arbeiten brauchen, wirkte er schöpferisch fort, trat zunächst in die Dienste von Cisco, später wieder in jene von Sun, wo er frohgemut die Produktlinien überarbeitete, Netzwerkschalter und Supercomputer entwickelte.

Wie alle großen Meister verfügt Bechtolsheim über einen eigenen Stil. Softwareingenieure schwärmen von der Eleganz seiner Schaltpläne: Dem Vielschichtigen und Umständlichen ringt Bechtolsheim ihr Gerades und Unmissverständliches ab, in der Gewissheit, dass sich darin ihr Wesen offenbare. Während andere versuchen, das Komplizierte zu ergründen, versenkt sich Bechtolsheim in das Einfache, aus dem es gebildet ist.

Als "Genie", dessen Wirkung sich nach allen Seiten in der Gilde ausgebreitet hat, wird er verehrt, sein Einfluss mit dem von Apple-Geist Steve Jobs verglichen, ja als ihm überlegen gedeutet: Denn Bechtolsheim konstruiert nicht für eine Designschickeria, sondern für die Welt der Unternehmen. Jeder Rechner, den er baute, war der schnellste seiner Generation, und mancher von ihnen sah sogar am besten aus.

Bekanntheit erlangte er nicht nur als Erfinder umwälzender Produkte, Gründer siegreicher Unternehmen, sondern auch als Erfolgsfinanzier der Szene: In gut 100 Technikfirmen hat er den zehnten Teil seines Vermögens gesteckt.

Kultstatus erreichte er als einer der ersten Google-Investoren. Sein guter Freund, Stanford-Professor David Cheriton, hatte ihm 1998 zwei Absolventen vorgestellt, die eine Idee für eine Suchmaschine, aber kein Geld hatten. Bechtolsheim stellte ihnen einen Scheck über 100 000 Dollar aus, später einen zweiten über den gleichen Betrag.

Bis heute ist er im Besitz von einem Google-Prozent geblieben, aus dem Geschäft mit dem Wagniskapital indes hat er sich zurückgezogen: "Das läuft schon seit zehn Jahren nicht mehr, und so schwierig wie heute war es seit 30 Jahren nicht. Der Markt ist hart, und die Lücken, die er bietet, sind klein. Was mir aber am meisten Spaß macht, ist, Probleme zu lösen und mein Geld, wie bei Arista, in eigene Ideen zu investieren."

Mit seinem Unternehmen, dessen Besitz er sich mit David Cheriton teilt, blitzt der Unermüdliche ein weiteres Mal am vordersten Rand des Fortschritts hervor. Seine Netzwerkschalter haben einen neuen Standard gesetzt.

Ein Drittel seiner Kunden sind Wall-Street-Firmen, die für ihre Anlagen die schnellste Ausrüstung benötigen: „Banken, Hedgefonds. Alle, die High Frequency Trading machen, bei denen die Händler nur für eine Mikrosekunde im Markt sind. Es ist eine Materialschlacht."

Arista steht auf der Gewinnschwelle: "Wir wachsen schnell." IBM und Hew-lett-Packard haben um Beteiligungen nachgesucht. Aber Bechtolsheim verfolgt andere Pläne: den Börsengang.

Dass er sich danach zur Ruhe setzt, ist unwahrscheinlich. "Mit Geld kann man eigentlich relativ wenig machen. Es mag komisch sein, wenn ich es jetzt so sage. Man kann sich ein größeres Haus und ein schnelleres Auto kaufen. Aber das ist auch ungefähr alles."

Aber auch nur ungefähr. Bechtolsheim hat sich darüber hinaus einen günstigen Zweimaster von 43 Meter Länge und mit sechs Mann Besatzung zugelegt. Das Schiff kreuzt um die Welt. Jetzt sei es gerade im Panamakanal auf dem Weg nach Tahiti. "Wenn ich mal einen kurzen Urlaub mache, gehe ich an Bord, wo es gerade ist. Wir haben Internet, so kann ich am Geschäft teilnehmen." Das Gute am Segeln, sagt er , sei ja "der Wind: Diesel ist bei diesen Entfernungen praktisch unbezahlbar".


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