Sitzen geblieben

DIE ZEIT | 1. Mai 2008

Zu viele Gymnasien bleiben unter ihren Möglichkeiten. Sie haben sich der veränderten Realität nicht angepasst, sagt der Pädagoge Manfred Prenzel

DIE ZEIT: Das Gymnasium ist hierzulande die beliebteste Schulform. Trotzdem schneiden Gymnasien bei Wettbewerben wie dem Deutschen
Schulpreis regelmäßig schwach ab. Woran liegt das?

Manfred Prenzel:
Das Leistungsniveau vieler Gymnasien ist sehr hoch, bei Schülerolympiaden oder Jugend forscht kommen die meisten Sieger von Gymnasien. Bei anderen Merkmalen, die eine gute Schule ausmachen, können Gesamt-, Haupt- oder Grundschulen oft mehr vorweisen.

DIE ZEIT: Welche Qualitäten sind das?

Manfred Prenzel: Das beginnt mit dem Unterricht, der im Gymnasium häufig noch stark auf den Lehrer zugeschnitten ist. Andere Unterrichtsformen, die stärker die Schüler aktivieren und das selbstständige Lernen anregen, kommen dagegen wenig zum Einsatz. Auch das Schulmanagement, die Zusammenarbeit der Lehrer oder das Schulleben sind an vielen Gymnasien nicht unbedingt preiswürdig.

DIE ZEIT: Ein hartes Urteil.

Manfred Prenzel: Natürlich gibt es Gymnasien, die sich hervorragend entwickelt haben. Aber in der Gesamtschau sind zahlreiche stehen geblieben. Das ist uns bereits bei Pisa aufgefallen. Es gibt relativ viele Gymnasien, die bei guten Voraussetzungen zu den »passiven« Schulen zählen.

DIE ZEIT: Gymnasien könnten also mehr leisten?

Manfred Prenzel: Ja, zu viele Gymnasien bleiben unter ihren Möglichkeiten. Im Schnitt haben sie ja immer noch mehr Schüler, die aus intakten, bildungsbewussten Familien stammen. Ihre Migrantenquote ist gering. Da haben es Haupt- und Gesamtschulen viel schwerer.

DIE ZEIT: Aber auch Gymnasien sind doch keine Eliteschulen mehr?

Manfred Prenzel: Eben deshalb müssten sie sich weiterentwickeln. Viele Schulvergleiche zeigen, dass das Leistungsspektrum im Gymnasium groß ist, und zwar sowohl zwischen den Schulen als auch innerhalb einzelner Klassen. Zu wenige Gymnasien stellen sich jedoch dieser veränderten Realität, etwa indem sie ihre Schüler stärker individuell unterstützen. Eine systematische Leseförderung zum Beispiel, nach Pisa eines der großen Themen, findet an Gymnasien kaum statt. Manchen Lehrkräften fällt es noch schwer, sich von der Idee der »Ausleseschule« zu verabschieden. Doch erhält man leistungshomogene Klassen nicht durch hohe Sitzenbleiberquoten. Vielmehr müssen wir sicherstellen, dass auch in Gymnasialklassen Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen vergleichbare Lernzuwächse erreichen.

DIE ZEIT: Wie sieht es mit der Leistungsspitze aus?

Manfred Prenzel: Da könnte auch mehr passieren. In einem dreigliedrigen System müsste das Gymnasium ja unsere Spitzentalente optimal fördern. Das ist bislang nur bedingt der Fall, auch das zeigt Pisa. Bei der Zahl der Schüler, die das höchste Kompetenzniveau erreichen, sind uns Länder wie Japan, Finnland oder Kanada deutlich voraus.

DIE ZEIT: Worauf führen Sie die Unbeweglichkeit vieler Gymnasien zurück?

Manfred Prenzel: Zum einen stehen sie weniger unter Legitimationsdruck als andere Schulen. Das Gymnasium ist eine Institution, die sich bis heute nicht erklären musste. Zum anderen verfügt es über eine Lehrerschaft, die sich stark über ihre jeweilige Disziplin definiert. Gymnasiallehrer haben auf hohem akademischem Niveau studiert und sind oft zu Recht stolz auf ihren anspruchsvollen Fachunterricht. Pädagogische Aspekte oder Fragen der Schulentwicklung spielen dagegen häufig eine eher untergeordnete Rolle.

DIE ZEIT: Die meisten Eltern stört dieses traditionelle Selbstverständnis aber nicht.

Manfred Prenzel: Nicht zuletzt aus eigener Erfahrung herrscht bei vielen Gymnasialeltern die Meinung vor: Lernen im Gymnasium kann langweilig oder schmerzhaft sein, aber wenn man da durchkommt, hat man etwas fürs Leben gelernt. Aus dieser Sicht trägt auch der Lateinunterricht zur Bildung bei, selbst wenn sich die Schüler fragen, wozu ihre Eltern sie das lernen lassen.

DIE ZEIT: Sind Sie zum Gymnasien-Kritiker geworden?

Manfred Prenzel: Ich sage nicht, dass man das Gymnasium abschaffen sollte. Ich stelle nur fest, dass sich viele Gymnasien mehr bewegen könnten.

Die Fragen stellte Martin Spiewak


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