Was die Welt zusammenhält

Stiftung Jugend forscht e. V. | 2009

Raphaël Errani – Bundessieger – Preis des Bundespräsidenten für eine außergewöhnliche Arbeit 2009

Raphaël Errani

„Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Dieses Leitmotiv von Goethes Faust ist auch die Frage, die den zweifachen Bundessieger Raphaël Errani aus dem niedersächsischen Neuenkirchen seit vielen Jahren umtreibt. Astrophysik ist seine große Leidenschaft – und für Errani die Wissenschaft, mit der sich am besten erklären lässt, wie die Welt funktioniert. Dieser Frage spürt er nach, seit er mit sechs Jahren sein erstes Fernrohr geschenkt bekam – „ein ‚Telesköpchen’ mit einem Objektiv, das einen Durchmesser von fünf Zentimetern hatte.“ Mit den Jahren wächst die Leidenschaft: „Je älter man wird, desto häufiger fragt man sich, wo man herkommt und was es ist, das die Welt zusammenhält“, so Errani. In Hans-Otto Carmesin, einem engagierten Lehrer seiner Schule, dem Athenaeum in Stade, findet der Nachwuchswissenschaftler einen wichtigen und ebenso begeisterten Unterstützer. Ab der 7. Klasse sind sowohl der Astronomie-Kurs als auch die Jugend forscht AG sein zweites Zuhause.

Die schuleigene Sternwarte und der Computerraum sind dann auch für seine erste Jugend forscht Teilnahme im Jahr 2007 von großer Bedeutung. Raphaël Errani, damals 17 Jahre alt, untersucht, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Asteroiden verschiedener Größe die Erde treffen. Der ehrgeizige Jungforscher blockiert den Computerraum der Schule ganze elf Tage lang, um mithilfe von 21 Computern aufwendige Berechnungen anzustellen. Dabei muss er auch unerwartete Schwierigkeiten meistern: Der erste Testlauf scheitert, da Schüler der Schach-AG sämtliche Computer ausschalteten, da sie annahmen, die Geräte seien versehentlich angelassen worden. Nach Überwindung aller Hürden und erfolgreicher Berechnungen bestimmt Raphaël Errani auf der Basis eigener Mondbeobachtungen das Verhältnis der Einschläge auf der Erde und dem Mond. Ergebnis seiner Arbeit: Entwarnung! Das Risiko eines Asteroideneinschlags mit katastrophalem Ausmaß stuft er als sehr gering ein: Einen größeren Einschlag wie zuletzt 1908 in Sibirien gibt es statistisch gesehen nur alle 1000 Jahre. Die anspruchsvolle Arbeit überzeugt auch die Jury beim Bundeswettbewerb, sodass der Jungforscher nicht nur mit dem Preis der Bundeskanzlerin für die originellste Arbeit, sondern zusätzlich auch mit einem Sonderpreis der Astronomischen Gesellschaft sowie einer Einladung zum „European Union Contest for Young Scientists“ ins spanische Valencia ausgezeichnet wird.

Zwei Jahre später, die gleiche Situation: Jugend forscht, Raphaël Errani im Finale, eine hervorragende astrophysikalische Arbeit mit komplexen Computersimulationen und aussagekräftigen wie auch präzisen Ergebnissen zum Thema Dunkler Materie in der Milchstraßenebene. Der Betreuungslehrer weiß schon vor der Siegerehrung: „Was Raphaël macht, ist exzeptionell. Die Methoden, die er anwendet, sind auf dem Niveau eines fortgeschrittenen Studenten.“ Und auch die Jury ist beeindruckt und lobt den Jungforscher, in welcher Weise er entscheidend in die aktuelle Diskussion an der vordersten Front der Forschung eingegriffen hat. Das kann nur eines bedeuten: den zweiten Bundessieg. Dieses Mal wird Errani mit dem Preis des Bundespräsidenten für eine außergewöhnliche Arbeit ausgezeichnet. Dass ein Teilnehmer sowohl diesen Preis als auch den Preis der Bundeskanzlerin gewinnt, gibt es bislang nur dreimal in der 44-jährigen Geschichte von Jugend forscht.

Als Bundessieger kommt Raphaël Errani in den Genuss vieler, nicht gerade alltäglicher Erlebnisse. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist ihm der Empfang durch Angela Merkel nach seinem ersten Bundessieg 2007. Als Gewinner des Preises der Bundeskanzlerin darf er im Berliner Kanzleramt nicht nur am Empfang aller Sieger und Platzierten teilnehmen, sondern der promovierten Physikerin seine wissenschaftliche Arbeit auch persönlich präsentieren. Doch für ihn besteht die Herausforderung nicht in der Vorstellung seiner Arbeit – „das Projekt hat eine klare Struktur und sie ist Physikerin. Ich gehe davon aus, dass sie das, was ich erklärt habe, verstanden hat“, so der Jungforscher. Problematisch ist an diesem Tag etwas ganz anderes: „Bei dem Treffen mit Frau Merkel war ich wahnsinnig unausgeschlafen. Ich kam direkt vom EU-Wettbewerb in Valencia und war am Morgen um 4 Uhr aufgestanden, um rechtzeitig in Berlin zu sein.“

Und als wäre das alles nicht genug, schafft es Errani als erster Jugend forscht Bundessieger auch noch auf die Titelseite einer großen überregionalen Tagesszeitung. Am Tag nach seinem zweiten Erfolg beim Bundeswettbewerb titelt die Frankfurter Rundschau „So sehen Sieger aus!“ und zeigt neben den Bildern des frischgebackenen Fußball-Meistertrainers Felix Magath und des wiedergewählten Bundespräsidenten Horst Köhler auch ein Foto von Errani.

Astronomie ist sein Leben – das zeigt sich auch an Raphaël Erranis Freizeitbeschäftigungen: Er ist Gast auf Astronomischen Tagungen in Deutschland und Großbritannien und leitet eine Arbeitsgruppe beim Astronomischen Sommerlager für Jugendliche. Doch als Streber oder Fachidioten, der den ganzen Tag nur in die Sterne schaut oder vor dem Computer hängt, sieht sich Raphaël auch trotz seines sehr guten Abiturs nicht: „Astrophysik ist zwar mein liebstes Hobby, aber nicht das einzige“. Seit Jahren rudert er, war lange Jahre Vereinsvorsitzender des Schulruderclubs, und spielt Klavier. „Natürlich gibt es viele, die nicht begreifen, dass man sich dafür interessiert, wie die Welt funktioniert. Aber das ist wohl eine Grundsatzfrage.“

Nach dem Ende der Schule im Juni 2009 erwarten Errani nun neue Herausforderungen. Vor dem Beginn des Physikstudiums geht es erst einmal nach Israel in die christliche Siedlung Nes Ammim, wo der 19-Jährige seinen Zivildienst ableistet. „Nach 7 Jahre am Athenaeum und 19 Jahren im Alten Land direkt an die Uni? Wohl etwas zu trocken!“, befindet Errani. In der Studienabteilung der Siedlung kümmert sich der Jungforscher um die Öffentlichkeitsarbeit und hilft bei der Organisation des Studienprogramms, das sich zum Ziel setzt, den Dialog zwischen Juden, Arabern und Christen zu fördern sowie ausgewogen und umfassend über Israel, das Judentum und den Islam zu informieren.

Bei seiner offensichtlichen Liebe zur Astronomie scheint dieses Engagement auf den ersten Blick so recht nicht ins Bild zu passen. Doch letztlich geht es ja auch hier um die Klärung einer zentralen Frage der Menschheit, wie nämlich verschiedene Kulturen friedlich zusammenleben können. Außerdem ist Israel mit seiner dunklen Negevwüste nicht der schlechteste Platz, den sich ein Astrophysiker für seine Beobachtungen wünschen kann. Und wenn Raphaël Errani im kommenden Jahr mit dem Physikstudium beginnt, kann er sich wieder der anderen elementaren Fragestellung widmen, die ihn schon sein Leben lang beschäftigt: Was es ist, das die Welt im Innersten zusammenhält.


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