„Ich bin ein Affenmensch“

Stiftung Jugend forscht e. V. | 2006

Volker Sommer – Bundessieger Biologie 1973

Volker Sommer

Volker Sommer widmet sein Leben den Affen. Und so verwundert es nicht, dass er sich mittlerweile als einer von ihnen sieht. Als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Erforschung von Primaten gelangt er zu der Überzeugung, "dass ich ein Affenmensch bin und damit lediglich eine besondere Art von Tier". Doch dabei belässt es der renommierte Anthropologe nicht. Aus dieser Selbsterkenntnis entwickelt er die provozierende These, dass es wissenschaftlich unhaltbar sei, "überhaupt zwischen Menschen und Menschenaffen zu unterscheiden".

Als der 19-jährige Volker Sommer 1973 bei Jugend forscht teilnimmt, ist er von derart grundstürzenden Aussagen noch weit entfernt. Er entschließt sich, seine ersten Gehversuche als Forscher mit einer vergleichsweise "niederen Spezies" zu wagen. Der Titel seiner Arbeit verrät dabei schon damals ein gewisses Geschick bei der Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen. Volker Sommer präsentiert beim Bundeswettbewerb in Paderborn im Fachgebiet Biologie eine "Vergleichende entwicklungs- und verhaltensphysiologische Analyse der sozialen und solitären Larvalstadie von Aglais urticae und Inachis io". Hinter den lateinischen Namen seiner Studienobjekte verbirgt sich nichts anderes als zwei Schmetterlingsarten: der Kleine Fuchs und das Tagpfauenauge. Sommer untersucht das Sozialverhalten ihrer Larven. Die Jury ist beeindruckt und der Gymnasiast aus dem nordhessischen Immenhausen wird Bundessieger.

Nach der Schulzeit in Kassel studiert Volker Sommer - wie sollte es anders sein - Biologie, denn nun ist er auf den Geschmack gekommen. Darüber hinaus befasst er sich auch mit den Fächern Chemie und Theologie. Doch anstelle der heimischen Tiere rücken schon bald die Menschenaffen in den Mittelpunkt seines Forschungsinteresses. 1985 wird Sommer promoviert, im Anschluss startet eine Karriere als Hochschullehrer. Nach seiner Habilitation 1990 lehrt er zunächst als Privatdozent für Anthropologie und Primatologie an der Universität Göttingen. Zudem ist er Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of California in Davis. Seit 1996 hat Sommer den Lehrstuhl für Evolutionäre Anthropologie am University College London inne.

Eines ist klar: Volker Sommer gehört in keinem Fall zu den Professoren, die ihre Forschung vor allem im Studierzimmer betreiben. Ihn zieht es hinaus in die Welt. Seit 1981 ist er an einer Langzeitfeldstudie über Tempelaffen in Indien und seit 1990 an einer mehrjährigen Untersuchung von Gibbons im thailändischen Regenwald beteiligt. Zudem leitet Sommer seit 1999 ein Projekt zur Erforschung der Schimpansen im Bergwald Nigerias.

Der Mann ist wirklich unglaublich umtriebig. Kein Wunder also, dass der Südwestrundfunk über Sommer sagt, er sei "telefonisch schwer zu erreichen", da er meistens auf hohen Bäumen in Nigeria oder Thailand sitze und das Verhalten von Affenpopulationen beobachte. Doch wenn er von dort herabsteigt, ist sein Leben keineswegs ruhiger. Denn neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer verfasst Sommer quasi am Fließband Publikationen vor allem zur Biologie des Sozial- und Sexualverhaltens und zur Kulturwissenschaft; mittlerweile sind es über einhundert. Zudem schreibt er als Autor für renommierte Magazine und Zeitungen wie Geo, stern, Spiegel und FAZ, wirkt an zahlreichen Radio-, Film und Fernsehproduktionen mit und hält Vorträge im In- und Ausland.

Bei aller Liebe zum Tier – Volker Sommer gehört keineswegs zu den einseitigen Öko-Aktivisten. Als Wissenschaftler sucht er nicht nur einen differenzierten Zugang zum Verhältnis zwischen Mensch und Affen. Vielmehr vertritt er auch hinsichtlich des Schutzes unserer Umwelt eine in gewisser Weise überraschend nüchterne Position: So stellt Volker Sommer fest, "dass die Gegenwart von ehrgeizigen Forschern das wohl beste Mittel ist, frei lebende Populationen von Primaten vor der weitgehenden Vernichtung zu schützen". Das die jedoch irgendwann kommen wird, steht für ihn außer Frage: In zehn Jahren gebe es bestenfalls noch eine Hand voll Waldinseln, in denen wilde Menschenaffen überleben könnten, so der Primatologe, der andererseits aber ein wenig überraschend feststellt, dass es keinen vernünftigen Grund gebe, das Aussterben von Lebensformen zu bedauern: "Ich kann mich auf keine gottgegebene Ordnung berufen, wonach es auf Erden nur maximal sechs Milliarden Menschen geben soll und dafür mehr Gorillas." Wieso sollten Menschen nicht den ganzen Planeten umgestalten? Schließlich sei ihre Konkurrenzstärke auch ein Produkt der Evolution. "Wenn ich mich dagegenstelle," meint Volker Sommer, "kann ich nur mein subjektives Lebensgefühl geltend machen: Ich möchte mehr als nur Menschen und Kühe. Ich will Vielfalt."

Von eben jener Zielsetzung lässt sich Volker Sommer auch bei der Wahl der Vornamen seiner Kinder leiten. Denn in Umkehrung der Tradition der britischen Primatologin Jane Goodall, den beobachteten Studienobjekten menschliche Namen zu geben, benennt Sommer seinen Sohn "Kalind" nach einem Menschenaffen. Letztlich ist das konsequent bei einem, der nicht müde wird zu betonen, "dass unsere haarigen Vettern eigentlich haarige Geschwister sind".


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