Der Vampir aus dem Sumpf

Kölnische Rundschau | 16. Januar 2014

"Die Einzeller sind quasi zu meinen Haustieren geworden", sagt Sebastian Hess, Biologie-Bundessieger von 2005. Besonders angetan haben es ihm Algenparasiten, wie der "bewegliche Aasräuber". Diese bis dahin unbekannte Art von Einzellern entdeckte der 28-Jährige selbst in einem Hangquellenmoor in der Nähe von Köln. Bei den winzigen Lebewesen handelt es sich um eine weniger gruselige Kreatur, als der lateinische Name "Orciraptor agilis" vermuten lässt. Die Einzeller ernähren sich ausschließlich von abgestorbenen Algen. Es verwundert nicht, dass die Algenparasiten auch das Thema der Dissertation sind, an der Sebastian Hess derzeit am Botanischen Institut der Universität Köln arbeitet.

WIEHL/NEUENHÄHNEN. Eine noch unvollständig erforschte Welt durchstreifen, unbekannte Tierarten entdecken – dafür muss man nicht weit reisen. Sebastian Hess (28) ist nur nach Waldbröl-Neuenhähnen gefahren. In einem im Nutscheid-Höhenzug gelegenen Hangquellmoor ist der heute in Köln lebende Wiehler auf eine Spezies gestoßen, die er auf den Namen "Orciraptor agilis" taufte. Das bedeutet so viel wie "beweglicher Aasräuber".

Dabei handelt es sich um eine weniger gruselige Kreatur als der lateinische Name vermuten lässt. Die Rede ist von einem winzigen Einzeller, der allerdings genau das tut, was sein Name androht: Er ernährt sich von abgestorbenen Algen.

"Die Einzeller sind quasi zu meinen Haustieren geworden", sagt Sebastian Hess. "Ich habe schon seit meiner Jugend ein Faible dafür." Und für unscheinbare Sumpfgewächse: 2005 holte er einen ersten Preis beim Bundeswettbewerb "Jugend forscht" für seine Forschungen über ein tierfangendes Lebermoos. Als junger Student zeigte der einstige Bonhoeffer-Gymnasiast interessierten Jungbiologen seiner alten Schule in Ferienkursen die "Wunderwelt der Einzeller". Auch heute betreut er gern Studenten und unternimmt mit ihnen Exkursionen. Anders als manchem anderen Wissenschaftler ist es ihm keine Last, dass an der Uni die Forschung auch mit Lehre verbunden ist.

Dass Sebastian Hess Biologie studieren würde, war klar. Gleichsam nebenbei erfand er zusammen mit seinem Vater einen Konverter für die Fotokamera: Der "Magniflash" ermöglicht gestochen scharfe Aufnahmen im Makrobereich und wird erfolgreich vermarktet. Von den Erlösen kaufte sich Sebastian Hess Mikroskope für sein Privatlabor.

Bereits 2008 entdeckte er die Algenparasiten für sich, als ihm beim Mikroskopieren ein seltsamer Organismus auffiel. Fortan studierte er die Lebensweise dieser winzigen Einzeller mit besonderem Eifer. 2011 waren sie dann auch Thema seiner Diplomarbeit und sind nun Gegenstand seiner Promotion am Botanischen Institut der Universität zu Köln. Sein Doktorvater Prof. Dr. Michael Melkonian pflegt dort eine Sammlung von 3000 verschiedenen Algenstämmen aus aller Welt.

Einzeller werden je nach Lebensweise den Pflanzen oder Tieren zugeordnet, es gibt allerdings auch Mischwesen, das macht die Forschung so speziell. Weil der von Sebastian Hess entdeckte Orciraptor keine Photosynthese betreiben kann und zu seiner Ernährung andere Organismen frisst, ist er eher tierischer Natur.

Zunächst entdeckte Hess den Viridiraptor invadens, einen Einzeller, der in lebende Algen eindringt und sie von innen auffrisst. Der ähnliche Orciraptor agilis dagegen wollte viel schlechter gedeihen, obwohl Hess die Kultur großzügig mit frischen Algen fütterte. Bis er gleichsam zufällig entdeckte, dass sich der Einzeller, den er in einer Probe aus dem erwähnten Neuenhähner Moor mitgebracht hatte, ausschließlich vom Zellinhalt abgestorbener Algen ernährt, folglich ein bis dahin unbekannter Aasfresser ist. "Glück ist immer eine Komponente bei solchen Entdeckungen", sagt Hess. "Man muss aber auch durch Vorkenntnisse sensibel für Neues sein."

Hess fasziniert nicht nur die spezielle Biologie der neu entdeckten Arten. Ihn bewegt auch ein umweltpolitisches Anliegen: "Die Vielfalt des einzelligen Lebens zeigt, wie wichtig es ist, solche Naturschutzgebiete zu erhalten."

© Kölnische Rundschau, Reiner Thies


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